EXHIBITIONS

Von spekulierenden Ruinen und Ruinen der Spekulation

CRITIC'S PICKS FOR VIENNA ART WEEK:
Solid Roof, Severe Weather

Aus der Entfernung tauche ich in die Soundscape einer Video-Pressekonferenz. Erst später wird klar, dass es sich um den Originalton von Manu Lukschs „Third Quarterly Report“ handelt, der den Weg durch den Ausstellungssaal begleitet. Im Raum schweben Projektionsflächen. Sie bilden offene jedoch klar zonierte Schau-Kojen in denen man direkt und quasi ungestört den Video- und Soundarbeiten folgt. Die Dronenflüge aus Olena Newkrytas Filmessay „Ruins in Reverse“ ziehen mich zu den bereitgelegten Kopfhörern. Ich klinke mich ein. Der Titel bezieht sich auf Beobachtungen von Robert Smithson, die er in seinem Essay „A Tour of the Monuments of Passaic“ schildert. Zitate und Auszüge begleiten mich zu einem Wohngebäude in der Ukraine. Nach und nach wurde es von den Anwohner:innen abgetragen und verweilt als stummer, sich auflösender Zeuge politischer und gesellschaftlicher Systeme in einem komplexen Gegenwartsgefüge.

Bereits beim Lesen des Ausstellungsintros zu „Solid Roof, Severe Weather“ in der Kunsthalle Exnergasse schwirren meine Gedanken zu den Texten und Analysen der amerikanischen Theoretikerin Keller Easterling. Später finde ich einen Verweis im bereitgestellten Überblicksguide. Easterling beschreibt Infrastrukturen als aktive, empfängliche Formen, die nur als vermeintlich statisch und starr gelesen werden müssen. Es sind Elemente und Konstrukte, die Möglichkeit der Bewegung und des Bewegt-Werdens beinhalten. In dieser Disposition oder Veranlagung – so Easterling – verschwimmt die Grenze zwischen Spekulation und Analyse, zwischen Fiktion und Realität. Und so verhält es sich auch mit den audiovisuellen Arbeiten, die diese Schau zusammenführt.

Ausstellungsansicht, 2021 Foto: Wolfgang Thaler

Ich tauche also ein in die Weite der halboffenen Screeningnischen und gelange bei Marlene Maiers Videoarbeit („I could tell you, but then you would know“) in eine Serie beengt wirkender Szenarien. Nur ausschnittsweise zuordenbar konterkarriert das Bildmaterial die Größzügigkeit des Raumplans. Das Voice-Over stimuliert zum entspannten Loslassen – mein Puls steigt. Die Anweisungen wirken bedrohlich, insistierend. Immer immersivere Räume passieren meine Netzhaut. Fast spüre ich das Wasser des Floating-Tanks; die Zehenspitzen schon eingetaucht. Oder fühle ich doch die sterile Kälte der menschenleeren, dystopischen CGIs aus Shawn Maximos „Deeprecession Station”? Auch die Banner des Kollektivs Peles Empire („Untitled“) entfalten eine materielle, physische Präsenz, die zwischen Konstruktion, Dekonstruktion, Auflösung und Zusammenführung mäandert. Gemeinsam mit Michael Simkus „Sonic Boom“ sind dies die einzigen nicht Screen- oder projektionsbasierten Arbeiten, die im Ausstellungssetting und der Raumchoreografie eher in den Hintergrund treten.Wie Tekla Aslanishvilis Film „Scenes from Trial and Error” erzählen auch Simku und Peles Empire von rauen Begebenheiten, von Brüchen im glatten Narrativ und in dessen Konzeption. An Größenwahn mangelt es in den geschilderten Begebenheiten nicht. Die Baustelle als Zwischenort liegt auch hier im Fokus. Aslanishvili zeigt mit seinen Aufnahmen die korrumpierten Einzelteile einer adaptierten Vision. Ihre widersprüchlichen Komponenten fundieren eine verletzte Gegenwart, deren Zukunft ungewiss ist.

Ausstellungsansicht, 2021. Foto: Wolfgang Thaler

Der Wind fährt durch die Palmen vor der leerstehenden Kommunalverwaltung der utopischen Luxus-Smart-City Lazika. Ich warte auf den Sturm. Das metaphorische Dach aus dem Ausstellungstitel bietet keinen stabilen und soliden Unterschlupf. Die Arbeiten berichten von unsicheren und undurchsichtigen Konstrukten. Die Wunden in der Landschaft und im soziopolitischen Gefüge heilen langsam. Sie werden von den Künstler:innen minutiös aufgespürt sowie mit ihrer Entstehung kontrastiert. Die Ruine ist gegenläufig, ja. Sie bietet keinen Schutz und exponiert sich dem Wetter. Hier wird sie zu einer aktiven Infrastruktur, die atmet und ihr eigenes Entstehen hinterfragt. Als Reservoir für Handlungsräume und Ermächtigungsformen spekuliert, erhofft, beobachtet und denkt sie Formen des Zusammenlebens neu.
(Anna Barbieri)

Ausstellungsansichten, 2021. Fotos: Wolfgang Thaler