Von der Bahnhofsbank nach Venedig – Anna Jermolaewa
Die Künstlerin Anna Jermolaewa wird 2024 auf der Biennale in Venedig Österreich vertreten, auch bei der VIENNA ART WEEK war sie schon des Öfteren dabei. Nun widmet sich eine Werkschau in Linz der in St. Petersburg geborenen Künstlerin. Ein Text von Sabine B. Vogel.
„Hostile Design“ nennt man die Gestaltung der Sitzbänke, die mit Metallstreben und ähnlichen Unebenheiten ein langgestrecktes Ausruhen verhindern. Auf solch einer Bank schlief Anna Jermolaewa drei Wochen lang. Geboren 1970 in St. Petersburg geboren, engagierte sie sich in der politischen Opposition und gehörte zu den Herausgebern einer regimekritischen Zeitung. 1989 kam sie als politischer Flüchtling nach Wien, studierte hier Kunst und auch Kunstgeschichte, stellte hier unter anderem auch zweimal im Rahmen der VIENNA ART WEEK aus.
Nächstes Jahr wird die Künstlerin Österreich auf der 60. Biennale Venedig 2024 vertreten. Jetzt kann man eine Werkauswahl im Schlossmuseum Linz sehen. Dort läuft auch jenes kurze Video, dass ihre Schlafversuche auf einer dieser Bänke am Wiener Bahnhof zeigt. Keine zwei Minute hält sie es in den unbequemen Positionen aus.
Es ist ein typisches Werk für die Künstlerin, die in kurzen, nüchternen Sequenzen gesellschaftspolitisch aufgeladene Momente einfängt. Dafür filmte sie auch Spielzeug wie die bedrohlich-absurde Nahaufnahme eines eigentlich harmlosen Teddys oder die vergeblichen Kussversuche mit Mickey-Mouse-Masken, die in Beiß-Attacken enden.
Sind diese frühen Werke in Linz puristisch auf Monitoren präsentiert, geht sie mit ihren dezidiert politischen Werken einen Schritt in den Raum. Die Dokumentation sowjetischer Politiker-Doubles am Roten Platz in Moskau umfasst ein Setting mit Sesseln und Lampen, die im Stil einerseits auf die Regierungszeit referieren, uns andererseits aber auch eine falsche Gemütlichkeit vorgaukeln. Die zwei Pyramiden im Raum gehören zu „Number Two“. Eine ist weiß, die eine schwarz: Experimente zeigen, dass Menschen dem Gruppendruck nachgeben. Wenn genügend Menschen beide in derselben Farbe sehen, fügt sich jeder ein – ein erschreckender Beweis für das Konformitätsverhalten von Menschen.
In ihren neuesten Werken konzentriert sich Jermolaewa auf Formen des politischen Widerstands. Eigens für die Linzer Ausstellung entstand das Drei-Kanal-Video „The Singing Revolution“. Der Begriff referiert auf die Massenprotestbewegung in den baltischen Ländern, die 1988-1991 die Unabhängigkeit von der Sowjetunion forderten. Jermolaewa stellte in jeder der baltischen Hauptstädte einen Chor zusammen und filmte sie beim Singen der Befreiungslieder. Auch der Österreich-Pavillon in Venedig wird unter dem Thema des zivilen, friedlichen Protestes stehen: „A Language of resistance“, so der Titel, wird um Formen des gewaltfreien Widerstands kreisen.
AUSSTELLUNG
Anna Jermolaewa: NUMBER TWO
Schlossmuseum Linz
23.11.22 – 05.03.23