EXHIBITIONS

Unbequemes Gegenstück

CRITIC'S PICKS FOR VIENNA ART WEEK:
this is a love poem, curated by Cindy Sissokho

this is a love poem, 2021. Installation view, EXILE

Die Scheiben undurchsichtig beklebt; der Einblick in den Innenraum abgeschirmt. Ohne viel Schnickschnack zeigt die Hülle zum Stadtraum nicht mehr als fünf Worte: „this is a love poem,.“ Die Aufschrift, dreimal wiederholt auf den Glasfenstern, tritt selbstbewusst in die umliegende Fassadenlandschaft. Dahinter liegt ein Projekt der in Großbritannien lebenden Kuratorin Cindy Sissokho, die ihre Suche nach multiplen Formen und Formensprachen in den Räumlichkeiten von Exile im Rahmen des Curated By Festivals zeigt. Der Beitrag ballt sich um politische Satire als Widerstandswerkzeug, das Untergrabung und Umdeutung mit Poetik und Performance vereint.

Natürlich ist die Abdunkelung und das Heraustreten aus dem Stadtraum nicht nur Referenz zu Sissokhos kuratorischen Statement, das sich theoretisch und praktisch im Schwarzen Feminismus verwurzelt und von ihr selbst als ungehorsam (disobedient) beschrieben wird. Das Format der Mehrzahl der gezeigten Arbeiten bedingt zusätzlich die Uneinsichtbarkeit von der Straße, denn im Inneren dominiert eine unbehaglich anmutende Rauminszenierung aus Videos und Filmen. Das wenige, nicht von Monitoren oder dem Beamer stammende Licht hebt einzelne Textarbeiten sowie einen Posterdruck hervor. Der Fokus ist klar gesetzt. An einzelnen Punkten wird die gesamte Aufmerksamkeit gebündelt und offenherzig eingefordert.

Tanoa Sasraku: film text transcription

Bitter und tapfer klingen die ablesenden Stimmen in Mona Benyamins angeleiteter Aneignung, die Tabus und Traumata der palästinensischen Vertreibung auslotet. In der Videoarbeit der palästinensischen Künstlerin („Troubles in Paradise“) sind die Szenenbilder bis ins kleinste Detail ausgestaltet. Die Protagonist:innen, die Witz um Witz von Texttafeln ablesen, verharren beständig in aus dem Alltag gegriffenen Posen. Die Lachkonserve aus dem Off bejubelt oder bedauert. In dieser simplen Komposition wird klar: Teil des Publikums zu sein – ob lachend oder nicht – bedeutet, seine eigene Kompliz:innenschaft offenzulegen.

Auch Rosa-Johan Uddoh legt in sanft, aber bestimmt vorgetragenen Ansprachen in ihrer dreiteiligen Videoserie „Performing Whiteness“ die aufgeladene Involviertheit einer immer noch kolonial-operierenden Gesellschaft frei. In der visuellen Sprache eines Fernsehjournals gehalten, verkörpert Uddoh die britische Nachrichtensprecherin Moira Stuart und rezitiert ein verschachteltes Sprach-Konglomerat an unzusammenhängenden Fakten und Schlagzeilenfragmenten. Die Stückelung macht den Meldungsschwall zu einer absurden Satire, die zu performen die Sprecherin im komplexen Macht- und Unterdrückungsgefüge, dem Schwarze Körper unentwegt ausgesetzt sind, verdammt ist.

Mona Benyamin: Trouble in Paradise, 2019. Digital Video, 08:30min

Radical Self-Love – über diese Worte stolpert man immer wieder beim Durchforsten der Künstler:innenbiografien, denn nach dem Besuch der Ausstellung besteht Recherchebedarf. Auch die Arbeiten von Tanoa Sasraku („O’Pierrot“) und Autumn Knight („Sanity TV“ – nur online abrufbar) entlarven die koloniale Matrix – nicht nur ihre Geschichte, sondern ebenso ihre brennende Gegenwärtigkeit, die besonders im Unwillen das bestehende Wissen zu hinterfragen ihren Rückhalt findet. Für „this is a love poem,“ benötigt man Zeit für sich mit den Arbeiten und für die Arbeiten. Sie tragen das Innere nach Außen und ermächtigen sich in der performativen Umkehrung. Trotz der singulären Anordnungen – räumliche Überschneidungen der künstlerischen Positionen in der Choreografie der Galerie gibt es nicht, – schafft Sissokho ein unbequemes Gegenstück zum stereotypen Liebesgedicht, das im Galerienschaufensterensemble die Demontage verfestigter Strukturen vorantreibt.
(Anna Barbieri)

Rosa-Johan Uddoh: My Hair Is Beautiful, 2021
this is a love poem,, 2021. Installation view Mona Benyamin, EXILE