100. aktion, 6-tage-spiel 3.-9. August 1998, Schloss Prinzendorf an der Zaya
„ritual“ betrifft eigentlich mein gesamtes werk. ich habe nichts anderes – vor allem in zusammenhang mit meinem theater – als rituale entwickelt und vollzogen. meine aktionsmalerei, der vollzug meines theaters, meine pflege und aufbereitung der relikte ist im sinne des entwerfens von ritualen zu verstehen. das orgien mysterien theater ist kultisches und rituelles vorgehen. ritual äussert sich durch die form. das ritual ist verbunden mit den frühesten religionen und kultischen äusserungen. das ritual ist von anfang an bestimmt durch die form. handlungen, sinnlich begreifbare handlungen, vollzüge werden durch die form ausgedrückt. die form ist metaphysik. sie weist in die transzendenz. die form wird zur hermeneutik. die endlosen wiederholungen der rituale weisen in die ewigkeit. die ewige wiederkehr demonstriert sich, macht sich anschaubar. ritual ohne form ist nicht denkbar. ritual ist form, form ist ritual. das ritual hat die form, die kunst.
kunst war immer den religionen dienlich, bis ritual und kunst sich von der bindung an die religionen befreiten und verselbständigten. kunst selbst wurde zur religion und metaphyischen tätigkeit. mein orgien mysterien theater konzentriert intensives erleben, ritual im sinne der form, zum existenzfestspiel, zum konzentrierten, bewussten sinnlichen erfahren unseres (da)seins.
ich spreche immer davon, mein orgien mysterien theater ist eine schule des erlebens, des sinnlich intensiven erlebens. in diesem spiel wird das sein intensiviert, konzentriert erfahren. die rituale dieses dramatischen spieles provozieren unsere lebendigkeit, stossen uns ins sein. am 7. tag, am sonntag, werden die spielteilnehmer ins normale leben entlassen. es wird erwartet, dass die erfahrenen und erlebten rituaie ins tägliche leben übertragen werden. ich habe drei ordensregeln entworfen, die dies beweisen sollen. es ging darum, das gesamte leben zu ritualisieren. kunst sollte zu leben werden. leben zu kunst. aber es ergab sich eine steigerung. über das ritual hinaus wurde die seinserfahrung so grundsätzlich, dass der erlebte AUGENBLICK einer erleuchtung glich. alles übertraf alles, mit innigstem seinsbegreifen ausgefüllt und erfüllt. der triumph des rituals ist seine überwindung im ekstatischen, mystischen habhaft werden dessen, dass ist, dass ich bin, dass sein ist, dass ich das sein bin. das ritual ist der weg, das sein zu erfahren. es wird überwunden, wenn das allumfassende, durchdringende sein(= dass ist) erfahren wird und uns in die lebendigkeit und wirklichkeit des seins stösst. der das sein erlebende augenblick durchleuchtet wie ein blendender blitz unzählbare sonnensysteme, galaxien und kosmen, ewigkeit und unendlichkeit. der triumph der ewig sich ereignenden auferstehung ist im sein, ist durch das sein gegenwärtig, ewig sich ereignende auferstehung, ist, dass ist, dass sein ist. die zeugung, die aus dem ist ein neues ist entstehen lässt, liegt im ring des seins beschlossen, in der unaufhörlichkeit, anfangslosigkeit und endlosigkeit. – Hermann Nitsch
Hegelgasse 5, 1010 Wien
Nitsch Foundation
Die Nitsch Foundation wurde im Jahr 2009 gegründet, um die bedeutende Position des Künstlers Hermann Nitsch (*1938-†2022) zu fördern und sein Vermächtnis „das Orgien Mysterien Theater“ zu vermitteln und zu bewahren.
„ich kann das, was ich mir vorgenommen habe, nicht allein leisten. ich habe immer viel hilfe beansprucht. ich bin gestossen worden auf den weg in richtung gesamtkunstwerk und ich hoffe, dass die foundation mir helfen wird, diese schule des sinnlichen erlebens aufzubauen.“ – Hermann Nitsch am 22.10.2009
Hermann Nitsch – Das Orgien Mysterien Theater
19 Nov 2020/17:00-20:00H
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Plakat-6-Tagespiel-1998