LIVING RITUALS – EXHIBITION PARCOURS
Ein Rundgang durch sieben ausgewählte Ateliers
Aus den 100 Künstlerinnen und Künstler der Open Studio Days hat eine Jury sieben Ateliers ausgewählt, in den sich Kunstschaffende mit dem Thema „Living Rituals“ beschäftigen. Begeben Sie sich auf einen Online-Rundgang zu den kuratierten Atelier-Präsentationen und lesen Sie über die Arbeitsweise und Gedankenwelt der Künstlerinnen und Künstler nach. Der Fotograf Sandro Zanzinger ermöglicht seltene Einblicke in künstlerische Schaffensräume.
Im Rahmen der Vienna Art Week-Woche fanden Online-Talks mit den Künstlerinnen und Künstlern des LIVING RITUALS Exhbition Parcours statt, die über die Direktlinks nachzusehen sind.
ELISABETH VON SAMSONOW
„Für mich sind Rituale die großen magischen Handlungsanordnungen, die Metaphysik des Körpers. Die Kulturwissenschaft hat alles Mögliche zum Ritual erklärt – was sie gerne machen kann –, aber das Ritual ist in diesen grandiosen Verallgemeinerungen verschwunden. Ist Zähneputzen ein Ritual? Eher nicht. Der effizienzsteigernd durchgetaktete Alltag des modernen Menschen ist eher von konditionierenden Gewohnheiten durchzogen als von Ritualen. Der Raum des Rituals ist immer magisch, sofern er erschafft, ordnet, erkennt, eingreift in die Weltordnung. Zum Ritual gehört also immer ein Weltbild oder ein Bewusstseinstyp und auf jeden Fall die absolute Identifikation des Ritualisten mit der gesamten Welt. Der Ritualist handelt als Welt. Die Ritualkrise der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist nicht nur eine Krise des zum Ritual gehörigen magischen Bewusstseinstyps gewesen, sondern markiert auch das Ende der hochgradig autonomisierenden Funktion des Rituals: Der Ritualist und die Ritualistin übertreffen natürlich locker die mächtigsten Politiker in ihren Wirkungsansprüchen, wodurch sie sich suspekt machen. Kein Wunder, dass sich vor allem die Feministinnen der ersten Welle in den Siebzigerjahren auf Magie und Ritual als provokante Praxis konzentriert haben (und dazu – nebenher – intelligente Analysen ihrer „magischen“ Bewusstseinspolitik vorlegten). Rituale sind darüber hinaus Handlungsformen, die durch Wiederholung stabilisieren und stabilisiert werden (bis zum Verlust der ursprünglichen Intention), was natürlich die sogenannten Alltagsrituale als Kandidaten für das Thema empfiehlt, auch wenn diesen die Welt ordnende Dimension fehlt (sie ordnen nur den kleinen Menschen, der täglich seine Portion Zwangshandlung verrichtet). Ein Handkuss ist noch kein Ritual, sondern nur eine Habitusformel. Das aufrechte moderne Magieverbot macht es dem Ritual nicht leicht. Die Kunst ist auf jeden Fall die Ebene, die den Verlust des Rituals am ehesten auszugleichen imstande ist, oder sogar profitiert vom westlichen Ritualzerfall. Sie operiert nicht selten auf der liminalen Ebene der Ritualerfindung, wobei sie die Rituale oft auf Kosten ihrer konstitutiven Wiederholung herstellt (im Sinne der hochgradig geladenen „Einmalhandlung“). Die Diskussion zum Wesen der Performance hält sich nicht umsonst auf beim „Reenactment“ von wichtigen, die Performancegeschichte definierenden Performances. Ich erhoffe mir von der künstlerischen Aneignung der zerfallenden Ritualenergie und der daraus entstehenden und entstandenen Praxis eine gesellschaftliche Auswirkung auf die über Handlung und Haltung organisierbare Autonomisierung des Subjekts.“
Hier geht es zum LIVING RITUALS Talk mit Elisabeth Samsonow
HEINRICH DUNST
Heinrich Dunst verbindet in seinen Arbeiten Elemente der Sprache, des Bildes und der Skulptur und stellt deren Verhältnis als mediale Schnittstellen dar. In seinen „metasprachlichen“ Rauminterventionen und Performances verhandelt er die Lücke zwischen dem Sichtbaren und Sagbaren, die Unübersetzbarkeit einer Form in eine andere und die Kontextualität räumlicher Präsentationen. Die Wurzeln seines konzeptuellen Ansatzes liegen in Konkreter Poesie in der Wiener Szene der 1980er-Jahre mit ihrem Anspruch, die abstrakte Malerei in den Ausstellungsraum zu erweitern, und auch bei jenen künstlerischen Positionen, die wie Marcel Broodthaers die Wahrnehmungssysteme von Wort und Bild untersuchen. Dunst verleiht diesen Fragestellungen eine neue Aktualität, indem er die aufgerufenen Referenzen in ihrer Eindeutigkeit hinterfragt und so letztlich die der Kunst eigenen Voraussetzungen offenlegt. Der Künstler sagt:
„Wenn sich die Rituale des Alltags wie Konservendosen unaufhörlich und in ihrem gerichteten Verbrauch schier unumkehrbar entleeren, dann benötigen sie in diesem Ritual ein Double: eine Form, die sie spiegelt. die abstrakten Formen in meinen Arbeiten sind die Volumina für dieses gegenüber. Für diese Formen des Alltags. Ein Double. „Die Konservendose wird dumm, und die Abstraktion ist klug. Perspektiveumkehr: die Abstraktion wird dumm, die Konservendose ist klug“, so Peter Weibel.
Die Sprachverschiebung thematisiert andererseits auf einer wortsprachlichen Ebene diesen Verlauf und seine Umkehr: Das sind meine Performances. Das Wort kritisiert das Wort, durch die performative Verschiebung des Sprachgebrauchs. die Sprache wendet sich an das entleerte Ritual des Sprechens selbst.“
Hier geht es zum LIVING RITUALS Talk mit Heinrich Dunst
ROBERT SCHABERL
Auratische Bilder im buchstäblichen Sinne des Wortes. Zentralformen, gleißende Scheiben, die zwischen punktueller Konzentration in der Mitte und Ausdehnung oszillieren, Lichtreflexionen und pulsierende Kreisflächen in unendlichen Farbvariationen, subtile Farbübergänge, manchmal Kontraste, aber auch Studien in schwarz. Kunst der Schwingung, die im Großformat ihre maximale Emphase erzielt und in der Serialität der Mittel- und Kleinformate das Gleichmaß sucht. Farbiges Licht und die Veränderung der sogenannten Erscheinungsfarbe, also der Farbe, wie der Betrachter sie wahrnimmt, steht im Fokus des Werkes von Robert Schaberl. Das Spektrum, das er als Aesthetic Researcher untersucht, reicht von Farbe als Material bis hin zur Modulation von mikroprismatischen Pigmenten durch Lichteinfall. Schaberl schafft mit seinen abstrakten Arbeiten auf Leinwand und Papier, die der Zentralperspektive durch Zentralformen parieren, die stets, kaum wahrnehmbar aus dem exakten Mittelpunkt gerückt sind, malerische Erfahrungsräume, die dem Betrachter ein sinnliches Erlebnis bescheren. Je nach Perspektive erscheint es neu.
Die Wiederholung der alltäglichen Arbeit im Atelier, das Aufspannen der Leinwände, das Anrühren der Farben sowie der immer gleiche Arbeitsprozess, das Auftragen von Farbe in hauchdünnen Schichten, die Leinwand, die der Künstler mit der Hand in Rotation versetzt, der Pinsel, mit dem zahlreiche Kreise geformt werden, begreift Schaberl als rituelle Handlungsformen.
Hier geht es zum LIVING RITUALS Talks mit Robert Schaberl
KLAUS MOSETTIG
Das Grundkonzept von Klaus Mosettigs Arbeit besteht in der Abbildung von Zeit durch die Wiederholung gleicher Arbeitsprozesse: Jeden Tag setzt er mit Bleistift seine Striche, schraffiert rund neun Stunden und spitzt circa eine Stunde lang seine Werkzeuge. Egal ob abstrakte Kunst, Kinderzeichnungen, Selbstporträts aus der Kunstgeschichte, Abdrücke, die sich in Gegenstände eingeschrieben haben und gesellschaftspolitische Relevanz erlangt haben, Klaus Mosettig unterzieht seine ausgewählten Motive dem immer gleichen Prozedere, übersetzt selbst gewählte Vorlagen in seiner spezifischen Methodik auf Papier und gliedert sie in ein Archiv der Formen ein. Mittels dieser Scanner ähnlichen Tätigkeit lassen sich flach abgebildete künstlerische Emanationen so unterschiedlich sie auch sein mögen, ob Kunst oder Nicht-Kunst, ähnlich lesen. Dieser Akt der Aneignung und Homogenisierung lässt durch die stets gleiche Schraffur eine Distanz zum Abgebildeten entstehen. Fragen der Autorschaft, Wiederholung als sinnstiftendes Element, die formale Suche nach einem möglichst überzeugenden, qualitativ hochstehenden „Strich“ und eine transparente Kunstproduktion stehen im Mittelpunkt von Mosettigs Interesse. Die stets gleichförmige, rituelle Tätigkeit ermöglicht dem Künstler einen meditativen Zustand der Reflexion über seine Arbeit, die sich so – ganz langsam – weiterentwickeln kann.
Hier geht es zum LIVING RITUALS Talk mit Klaus Mosettig
BORJANA VENTZISLAVOVA
Borjana Ventzislavova arbeitet in den Bereichen Film/Video, Fotografie, Installation und Performance. Sie untersucht das Verhältnis zwischen Realität und Fiktion in unterschiedlichen sozialen und geographischen Räumen. In ihren Arbeiten analysiert sie Stereotype, Repräsentationsmodelle, verfolgt die Auswirkungen von dominanten Machtstrukturen und Kontrollmechanismen in der Gesellschaft.
Ihre Arbeit befasst sie sich auch mit der Verschiebung und Transgression von kulturellen Grenzen und den damit verbundenen psychischen Dynamiken sowie mit komplexen Prozessen der Übersetzung. In ihrer künstlerischen Praxis benutzt sie häufig partizipatorische Ansätze, um eine Plattform der Reflexion und Kritik zu schaffen. „Borjana Ventzislavova verwendet die Form des Rituals, um ohne ideologische Belehrungen die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Wirklichkeit vorzustellen, die durch ein lebendiges, vorurteilsfreies Begegnen konstituiert wird. Eine Idee, die sie mit dem Begriff der Liebe des Anarchisten Pjotr Alexejewitsch Kropotkin teilt”, schreibt Boris Manner. Rituale sind für sie eine Technik, ein Instrument der Solidarisierung und der symbolischen Kommunikation mit häufig sinnlicher und auch übersinnlicher Wirkung. Sie will damit Ermächtigungs- und Heilungsprozesse in Gang setzen. Ventzislavova geht es um die Kultivierung und Sensibilisierung des Selbst. Das Rituelle in ihrer Arbeit steht für eine außerästhetische Wahrheit. Sie fordert ein neues Ritualbewusstsein.
Hier geht es zum LIVING RITUALS Talk mit Borjana Ventzislalova
MANFREDU SCHU
Sei Ritual, sei Faktum, rät ManfreDu Schu. Er beschäftigt sich mit Körper und Sprache, Orten der Schönheit und der Verstofflichung des Körpers. Seine Arbeitssprache bezeichnet er als „Staged Visibility“. Rituale sind für ihn ein wichtiger Grundbaustein der Kreation von Identität.
„So ist der Geist auch immer Körper verkörpert in unseren innigsten Bedürfnissen“, meint er. „Unser Spiegel ist der unbewusste Körper, der uns langsam auf einer lebenslangen Suche durch das Ineinanderfließen der eigenen Identität und der Rituale des Außen transformiert. Die Maskerade, das Erregte und das Verzauberte bilden uns unablässig zwischen Traum und Wirklichkeit ab; beides sind Realitäten der Verwandlung. Die Quelle des künstlerischen Handelns sind immer Ereignisse und Empfindungen, die Bühne des Selbst, die die oberflächliche von der Gesellschaft geprägte Hülle der sozialen Normen verlässt. Die Kraft des künstlerischen Ausdrucks muss unter die Maske dringen, um die Tiefe der Intimität in einem Labyrinth zu offenbaren, das den Konflikt zwischen Kunstwerk und Selbst überwindet; es wendet sich tief ans Innere, an eine theatralische Analyse der Persönlichkeit, wo so etwas wie eine sich verwandelnde Wahrheit wohnt. Im Ritus des Experiments wohnt der Körper als Geist und dessen treibende Kraft der Überzeugung; sein Labor ist das innere Kind, dessen künstlerisches Ziel der Wandel, die Entdeckung der vielen Facetten des Selbst ist, wo das Leben und seine Wirkung in theatralischer Gestalt als Anatomie der Erinnerung in die Zukunft weist.“
Hier geht es zum LIVING RITUAL Talk mit ManfreDu Schu
SUSANNE DIXON
Suzanne Dixon (geb. 1972) beschäftigt sich mit vergangenen Zeiten und fernen Epochen. Schon als Kind begegnete sie durch ihre Mutter, die Archäologin ist, (prä-) historischem Kulturgut. Insbesondere Artefakte, die zu repräsentativen Zwecken entstanden sind, faszinieren sie. Dixons Figurenbilder beziehen sich sowohl auf österreichische Adelsdynastien aus dem Barock, dem Rokoko und der Biedermeierzeit als auch auf gegenwärtige Staats- und Stadtoberhäupter. Im Mittelpunkt der Bunt- und Filzstift-Zeichnungen in DIN A4 und A3-Formaten, die wie Schautafeln in einem Museum wirken, stehen Herrscherinnen, deren ornamental verzierte Gewänder, Accessoires und Gebrauchsutensilien: Das reicht von einer Kurfürstin über eine Markgräfin bis zu einer Hinterhofmadonna. Meist ist ihr Haupt bekrönt. Das Design der bunt gemusterten Kleider erinnert in der detaillierten Ausführung und der präzisen Setzung von Punkten und Farbflächen an die kleinformatigen Stickereien der Künstlerin, die sie in einem Künstlerbuch mit kurzen Kommentaren versehen gesammelt hat. Sie zeigen häufig kleine Szenen mit Menschen und insbesondere Tiere. Emotionale Bekundungen und Wunschvorstellungen ergänzen die textilen Bildchen.
SUSANNE KUZMA
Susanne Kuzma (geb. 1966) malt Landschaften mit Buntstiften in Farben, die froh machen. Die Künstlerin abstrahiert von fotografischen Vorlagen, die sie inspirieren, indem sie etwa Horizont, Wiese und Acker in Streifen, Regenbögen und bunte Schachbrettmuster auflöst. Die letztendlich doch gegenständlichen Bilder werden aus Quadraten, motivischen Wiederholungen und geometrischen Formen konstruiert. Es entstehen Landschaften, Blumenfelder, Strände, ornamentale Musterbilder, die die Oberfläche betonen. Wolken ähneln Kritzeleien mit farblichem Verlauf, Natur wird verfremdet, stilisiert und fantastisch überhöht: Blumen, Bäume und Tiere scheinen einem freien Reich der Imagination zu entspringen und weisen nur eine vage Ähnlichkeit mit der Realität auf. Kuzma folgt einem künstlerischen Programm, das sich dem Schönen verschrieben hat. Ihre schematisierten Formen sind einer ungekünstelten Herangehensweise geschuldet. Dennoch ist es nicht das Ziel von Kuzma eine Harmonie der Ordnung darzustellen, stattdessen inszeniert sie immer wieder Fehler und Regelbrüche. Der Rehabilitation des Rituals kann man in der zeitgenössischen Kunst auch in der Betonung der Form als Ethik der ornamentalen Ästhetik begegnen.
INGRID LECHNER
Frösche, Papageien, Eulen, Schmetterlinge und Chamäleons sind typische Bildmotive von Ingrid Lechner (1972). Eingebettet in eine in vielen Grüntönen schillernde Fauna versammelt sich auf den Papierarbeiten eine exotische Tierwelt, animalische Fantasiewesen und Raubtiere, die Flügel haben, präsentieren sich stolz unter einem Himmel aus bunten Girlanden. Eine Horde von ordinären Hauskatzen stellt Lechner vor einer Herzchentapete dar. Das eine Mal als Masse, das andere Mal fein säuberlich arrangiert oder aufgestellt in Reih und Glied. Bevor sie zu Arbeiten beginnt, studiert Lechner Bücher und Fotografien und übersetzt dann die von ihr ausgewählten Darstellungen in eine flächige Formensprache. Das realitätsgetreue Abbild der Wirklichkeit war für die Künstlerin noch nie von Interesse. Mit der ausgeprägten Ornamentik, den schrillen Farbwirbeln, die häufig die statische Komposition dynamisieren, muten die Werke häufig psychedelisch an. Die Verschränkung von Farben und Formen beherrscht die Farbstiftzeichnungen genauso wie der Fokus auf Tierdarstellungen. Konventionelle Bildordnungen will Lechner aushebeln und dreht während des Arbeitsprozesses immer wieder den Bildträger, um die Hierarchien von oben und unten, links und rechts zu relativieren.
(Texte: Angela Stief)
Einen Einblick in die wer:art-Studios gibt es hier!