Nocturnal (Com)Passion – Eine Nacht der “Passion” in der Jesuitenkirche
Ein Rückblick auf eine Nacht der “Passion” in der Jesuitenkirche im Rahmen der VIENNA ART WEEK 2023. Von Juliana Furthner.
Dem Motto „Inciting Passion“ folgend, sollten Leidenschaften in dieser nächtlichen Performance miteinander geteilt und vereint werden. Künstler:innen verschiedener Disziplinen und Hintergründe waren eingeladen einen Raum zu übernehmen und in einem kollektiven Prozess einen Abend zu entwickeln, der sich auf ein Miteinander konzentriert, der für den Ort spezifische traditionelle Elemente aufgreift und mit Zeitgenössischem verknüpft.
Für dieses besondere Format wurde ein ebenso besonderer, und ebenfalls mit „Passion“ aufgeladener, Ort übernommen: im Rahmen einer Nachtöffnung wurde die Jesuitenkirche im Herzen des ersten Bezirks zum Schauplatz der künstlerischen und performativen Intervention „Nocturnal (Com)Passion“ der VIENNA ART WEEK.
Das Konzept einer kollektiven Performance von Klangkünstlerin Rozi Mákó, dem Construction Choir Collective, Performer Viktor Szeri und dem Organisten Roman Hauser öffnete einen Raum für neue Dialoge, für Individualität ebenso wie Interaktion, für Experimente und die Überschneidung von Künstler:innen und Kunstformen. Es öffnete außerdem den übernommenen Kirchenraum, dessen typische Strukturen und setzte diesen in neue Kontexte. Medien- und die Sinne übergreifend, sollte Abgrenzung voneinander, im künstlerischen oder in weitreichenderem Sinne, mit Offenheit und Sensibilität für das „Andere“ in Frage gestellt werden. Ziel war es daher Entscheidungen zu Raum, Dramaturgie, Setting und Zusammenarbeit zu reflektieren und so treffen, dass sie es der Performance selbst erlauben würden, für sich stehen, berühren, ein Plädoyer für Offenheit, ein Ort für Begegnungen zwischen Künstler:innen und Besucher:innen aller Art, sein zu dürfen – ein Ort für „Nocturnal Compassion“ (Nächtliches Mitgefühl).
Neben der Übernahme und der teilweisen Rekontextualisierung des Kirchenraums, und zusätzlich zum Konzept der kollektiven Performance, sollte auch die Zusammenarbeit an die Idee der Offenheit und Kollektivität anschließen. Und die mit den Künstler:innen in den Vorbereitungen gemeinsam diskutierten und getroffenen Entscheidungen über Abläufe, Timings, Dauer, oder Setup, und das damit verbundene bewusste Aufgeben eines Teils kuratorischer Kontrolle, bestimmten das am Ende erfahrbare Resultat zum großen Teil mit.
Empfangen wurden Besucher:innen in der Kirche von einem leichten Duft nach Zimt, Kerzenlicht und einem Klangteppich aus sich im Raum bewegenden Stimmen und elektronischen Klängen. Als Sitzgelegenheiten wurden den frontal ausgerichteten, kühlen Kirchenbänken weiche, auf dem Boden platzierte Pölster entgegengesetzt. Mit den Bereichen um den Altar wurden Teile der Kirche zugänglich gemacht, zu denen sonst Distanz gehalten wird. Nicht nur die haptische Qualität, sondern auch die Ausrichtung der verschiedenen Sitzplätze sollte sich unterscheiden, denn wie die Performer:innen selbst mussten auch die Blicke der Zuschauer:innen keiner einheitlichen Richtung folgen. Die gewohnte Frontalität wurde aufgehoben und durch eine kreisförmige Anordnung der Besucher:innen ersetzt, eine gemeinschaftlichere Form.
Aufgebaut wurde die Performance durch Phasen individueller, aber zeitlich einheitlich aufgeteilter Improvisationen der verschiedenen Künstler:innen. Diese wurden durch kürzere Phasen der Interaktionen untereinander verknüpft und kulminierten in einer abschließenden gemeinsamen Improvisation. Neben einem Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Interaktion, ließ sich innerhalb der einzelnen Improvisationen ebenfalls immer wieder eine Spannung und ein Wechsel zwischen traditionellen und experimentellen Elementen entdecken.
Roman Hauser, Hauptorganist der Jesuitenkirche, näherte sich beispielsweise mit der Orgel neben deren bekannteren Klängen auch Synthesizer-ähnlichen, elektronischen Formen an. Das Construction Choir Collective (CCC), ein allgemein zugängliches, offenes und demokratisches Kollektiv künstlerischer Arbeit, trug Töne, Harmonien und eigene Passionen durch die Kirche, wechselte statische Formationen mit weitläufigen, performativen und fast theatralischen Momenten ab. Die künstlerische Praxis von Rozi Mákó steht für strukturierte Improvisation, experimentelle Musik und die unwiederholbare Ewigkeit des gegenwärtigen Moments. Die von ihr live produzierten Klänge, sowohl sanft harmonisch als auch beschämend laut, wurden begleitet vom elektronisch adaptierten Gesang eines Kirchenlieds und erinnerten in kurzen Momenten an die experimentelle Improvisation der Orgel. Als verbindendes Element tauchte zwischen den Improvisationen immer wieder ein Körper auf, der sich nicht nur gedanklich, sondern auch tatsächlich von den produzierten Klängen tragen ließ. Die spontanen und improvisatorischen kreativen Prozesse des Performers und Choreographen Viktor Szeri sind in der Regel durch den Wunsch motiviert, eine Stimmung oder ein Gefühl auszudrücken. Tänzerischen Momenten folgten so auch jene, in denen der performende Körper einfach Teil der Besucher:innen wurde.
Im abschließenden Teil fanden schlussendlich alle Kunstformen zusammen, begannen eine kollektive Improvisation, in der individuelle künstlerische Praktiken temporär kaum mehr voneinander zu unterscheiden waren. Impulse, Klänge, Momente, Bewegungen, Begegnungen und Antworten hatten irgendwann keine Richtung mehr. Als Vollendung entstand ein Zusammenspiel, das weder vorherzusehen war noch nachzuahmen ist, ein Moment, der auf einem Spiel aus Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, aus Absicht und Rücksicht basierte – und letztendlich Leidenschaften vereinte.