Mode und Dystopie
CRITIC'S PICKS FOR VIENNA ART WEEK
Tenant of Culture: Autumn Cloth
Modetrends sind per definitionem flüchtig. Sogenannte „Fast Fashion“-Anbieter erneuern teils binnen Wochen ihre Kollektionen. Joseph Schumpeter hätte es wohl als einen Fall „schöpferischer Zerstörung“ klassifiziert: Die Modewelt erfindet sich fortgesetzt neu. Die Kehrseite dieses Prozesses: Millionen Tonnen ausrangierter Textilien, die jährlich geschreddert oder verbrannt werden oder aber als Ramschware die Kleidermärkte von Schwellen- und Entwicklungsländern fluten. In der Ökonomie spricht man von sogenannter „geplanter Obsoleszenz“: Eine Ware kommt mit voreingestellter Halbwertzeit auf den Markt, zirkuliert eine Weile und kehrt schließlich als Billigartikel oder Müll zurück an ihren Produktions- und Herkunftsort: in die globale Peripherie.
Die niederländische Künstlerin Tenant of Culture spürt in ihrer Ausstellung „Autumn Cloth“ in der Galerie Sophie Tappeiner den mentalen und materiellen Konsequenzen dieser Ökonomie nach. „Autumn Cloth“ versammelt eine Auswahl von Assemblagen, bestehend aus unter anderem Lederresten, Schaumstofffüllungen, Schuhsohlen und Handtaschenteilen. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich vor allem auf die eleganten, prominent auf Edelstahlgestellen präsentierten Schuh-Skulpturen im Hauptraum der Galerie („Puzzlecut Boots“). Die filigranen Flicken-Arrangements („Swing Tag Series“) an den Wänden kommen erst bei näherem Herantreten zu ihrem Recht. Formal changiert die Präsentation zwischen High-End-Fashion-Show und DIY-Workshop. Assoziationen an andere Exponent:innen textiler Kunstpraxen, Sarah Lucas, Isa Genzken, Sergej Jensen u.a., stellen sich ein.
Der Titel der Show „Autumn Cloth“ ist eine Reminiszenz an den englischen Ökonomen Nicholas Barbon. In dessen Schrift „A discourse of trade“ von 1690 heißt es: „Fashion or the alteration of dress, is a great promoter of trade, because it occasions the expence of cloaths, before the old ones are worn out (…) It is an invention to dress a man, as if he lived in a perpetual spring; he never sees the autumn of his cloaths.“ Tenant of Culture kehrt die Barbon’sche Utopie des „perpetual spring“ in ihr Gegenteil. Statt fabrikneuer Warenfetische bekommen wir die textilen Überreste einer globalen Ökonomie permanenter kreativer Zerstörung zu sehen. Die Labels, die vereinzelt zwischen den Flicken und Lederriemen aufscheinen, geben Auskunft über die Produktionsstätten dieser Ökonomie: »Made in Bangladesh, Made in Philippines, Made in India etc.« Was für gewöhnlich unter einem dicken Panzer aus Design und Werbung verborgen ist – die Realität von globaler Arbeitsteilung und Ausbeutung –, legt Tenant of Culture in ihren Objekten beharrlich, Schicht um Schicht, offen. Das Ergebnis ist das Bild einer Welt, die im Begriff scheint, bald selbst das Schicksal der Dinge zu teilen, die sie produziert: obsolet zu werden. Ob eine andere (bessere?) Welt an ihre Stelle rücken wird, darüber schweigt die Künstlerin.
(Maximilian Steinborn)