Lustvoll das Sehen üben
Elfie Semotan. Haltung und Pose
Ist Fotografie Kunst oder Können? Eigentlich ganz egal – die Frage ist überflüssig angesichts des vielfältigen Werks von Elfie Semotan. Unter dem Titel „Haltung und Pose“ widmet das Kunst Haus Wien bis 29.08.2021 Elfie Semotan aus Anlass ihres 80. Geburtstags eine umfangreiche Retrospektive. Ein Ausstellungsbesuch lohnt, beweist er doch: Fotografie kann mehr als die Bilderflut, die wir Tag für Tag über unsere Bildschirme swipen.
Schon der erste Blick macht deutlich, dass es sich nicht um eine klassische Retrospektive handelt. Die Fotografien sind nicht chronologisch oder nach Themengruppen angeordnet, sondern nach visuellen und inhaltlichen Eindrücken. Eine sehr persönliche Auswahl also, die Elfie Semotan gemeinsam mit den Kuratorinnen getroffen hat: „Ich begann in meinem Atelier Fotos an der Wand aneinanderzureihen, ohne Rücksichtnahme auf Datum, Zugehörigkeit zu einer Serie oder sonstige Klassifizierungen“, erzählt die sympathische Fotografin, die ebenso energetisch wie pragmatisch wirkt. Die Freude am Sichten und Aussuchen bleibt beim Besuch der Ausstellung spürbar. Wir sehen Modefotografie, Porträts, Landschaften und „Still Lifes“ wie Semotan Aufnahmen von unbeweglichen Motiven nennt.
Beim Betreten des Raums sticht die Fotografie einer jungen Frau im blauen Kleid ins Auge: Farben, Falten, Komposition – eine moderne Sixtinische Madonna, die anstatt von Engeln von Möpsen flankiert wird. Neben der fast lebensgroßen Modemadonna hängt im Spotlight eine kleine Schwarz-Weiß-Fotografie von Louise Bourgeois. Künstlerinnen und Künstler haben es Elfie Semotan in jeder Hinsicht angetan. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben: Die Fotografin war mit den Künstlern Kurt Kocherscheidt und Martin Kippenberger verheiratet. Dass ein bürgerliches Leben für sie einfach nicht passt, war Semotan schon in jungen Jahren klar. Deswegen hat sie nach dem Besuch der Modeschule Österreich den Rücken gekehrt, um ohne Geld und mit viel Idealismus nach Paris zu gehen. Ein paar Jahre arbeitete Semotan als Mannequin, bevor sie sich ihren Traum erfüllt und hinter die Kamera wechselt. Jetzt wird die Leidenschaft zum Beruf. Zurück in Österreich fasste sie in der Mode- und Werbefotografie Fuß, ihre Kampagnen für Römerquelle und Palmers sind vielen noch gut in Erinnerung. Daneben etablierte sich die in Wien, New York und Jennersdorf/Burgenland lebende Semotan als Modefotografin internationalen Rangs. Ihre Modestrecken erschienen in namhaften Modemagazinen wie Vogue, i-D, Elle, Esquire, Marie Claire und anderen.
Semotans Nähe zur Kunst und deren Gestalter äußert sich nicht nur in zahlreichen Porträts Kunstschaffender. Häufig findet sie Inspiration in der Kunstgeschichte. Das Starmodel Vivien Solari lichtete sie in „Live moves fast“ inspired by Jeff Wall“ am Boden hockend ab, ein Foxterrier fliegt ins Bild ganz wie der Milchschwall in Jeff Walls „Milk“.
„Haltung und Pose“, so zugleich Titel und roter Faden der Schau. Dass diese beiden Intentionen nicht immer leicht zu unterscheiden sind, wird spätestens bei einer Reihe von Porträtfotos deutlich: Zwischen ganz viel Haltung, beispielsweise jener von Elfriede Jelinek und Johanna Dohnal im legendären S/W-Porträt ist die Modefotografie einer koketten Pose à la Marilyn gerutscht. Im Kunst Haus Wien lässt sich derzeit lustvoll das Sehen üben.
(Barbara Libert)
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