LOSING CONTROL EXHIBITION PARCOURS
Aus den 100 Künstlerinnen und Künstler der Open Studio Days hat eine Jury zehn Ateliers ausgewählt, in den sich Kunstschaffende mit dem Thema „Losing Control“ beschäftigen. Ein kuratierter Ausstellungspfad, der LOSING CONTROL Exhibition Parcours, führt am Samstag, 13. November, und Sonntag, 14. November, zu zehn ausgewählten Ateliers, in denen Künstlerinnen und Künstler Arbeiten zum Motto der Kunstwoche zeigen und im Rahmen der Exhibition Parcours Talks mit Kuratorinnen und Kunstexperten besprechen.
Künstlerinnen und Künstler: Ruth Anderwald + Leonhard Grond, Crisfor, Dejan Dukic, Christian Eisenberger, Denise Rudolf Frank, les tardes goldscheyder, Ernst Logar, Markus Redl, Almut Rink, Hubert Scheibl
Folgen Sie dem LOSING CONTROL Exhibition Parcours online: Der Fotograf Sandro E.E. Zanzinger ermöglicht seltene Einblicke in künstlerische Schaffensräume.
kontrollverlust; wollen wir das niccht alle…?
komischerweyse niccht.
icch fuehlte micch immer als aussenseyter, weyl icch alleyn das unwirsche, unwirkliche wollte
und die anderen niccht.
die fuehlten sicch sicherer, auf dem teppicch zu bleyben;
warum, weyyss icch niccht….,
erst landete icch am karlsplatz und nach dessen aufloesung durch regierung und kiberey in der kuenstlerszene,
wo mir der kontrollverlust ebenso zugute kam.
„die kunst ist eyn rausch“. (.l.t.g)
solange kontrolle da ist, wird es hoechstens konzeptionell.
es fehlt aber das gewisse etwas, dass bloss in der unruhe und im schwindel entstehen kann.
man bringe mir farben und icch schlag mir den kopf auf…,
icch will mit accht augen sehen und die farben hoeren und singen koennen.
ebenso geht es beym text. wer lange darueber nachdenkt, verliert das urspruengliche und wahrscheynlich das wesentliche aus den augen.
meyne chaotische umgebung im atelier unterstuetzt micch dabey die kontrolle(die icch tatsaechlich niemals hatte,
denn das ist illusion) endgueltig zu verlieren.
icch verwende immer den ersten wurf;
und das ist gut so.
(les tardes goldscheyder)
Seit 2007 ist mein Medium die analoge Fotografie als Doppelbelichtung: Zwei verschiedene Orte werden zu verschiedenen Zeiten auf demselben Filmkader abgelichtet. „Out of control“ gerät dadurch die Zeitbestimmung der Aufnahme. Ich verwendete unbenutzte Kalender für Notizen, die mir die Wahl des zweiten Motivs ermöglichten. Der Kalender schildert Zeit als lineare Abfolge, ein Tag folgt dem vorigen. Dies halten wir im Alltag für unsere Kontrolle. Meine Fotografien zeigen eine Zeit und einen Ort, die es so nie gegeben hat.
Disziplin, Fleiß und Genauigkeit sind wichtig, um eine Arbeit anzugehen, zu verfolgen, das geeignete Medium zu finden, alles zu einem Ende zu bringen. Die kreative Idee kommt allerdings nur im Zustand der Entspannung, ungewollt, beim Zähneputzen, im Halbschlaf, jedoch nie ohne sie vorher bewusst gesucht zu haben. Mein Denken muss ermüden, um in der Befreiung davon die Erkenntnis, die sich plötzlich zeigt, anzunehmen. Auch sind es manchmal spontane optische Eindrücke, die sich durch eine als besonders gefühlte Intensität auszeichnen, die ich mir gefühlsmäßig immer wieder vergegenwärtigen muss, um für dieses Bild in mir eine reale äußere Form zu finden. Die Erinnerung an das Erlebte schafft ein besseres Bild als das tatsächliche Beobachten der Realität.
Der Fehler, das Misslingen, der Zufall sind meine Helfer um die bewusste Kontrolle auszuschalten. Das ist nötig, um als ganze Person beteiligt zu sein, um Zugang zu meinem Unbewussten zu finden. Jede künstlerische Arbeit stellt mich vor ein neues Problem. Nur intensives Wollen und Ausprobieren neuer Wege kann zu einer gewissen Befriedigung führen. Ein Rest an Unbefriedigtem bleibt und bedingt eine neue Arbeit. Ein „perfektes“ Werk nach Rezept, alles voraus kalkuliert, berührt niemanden, weder mich selbst, noch andere. Nach einigen Jahren ändert sich meine Arbeitsweise, mein Thema, mein Anliegen. Die mit jedem Versuch gewonnenen Erkenntnisse haben eine gewisse Routine entstehen lassen, die schädlich ist. Gleichzeitig hat sich die Umwelt verändert, ich habe eine neue Perspektive entdeckt, der ich nun nachspüren möchte.
(Crisfor)
Wer zum geistigen Streben begabt ist, den wird man an folgendem erkennen:
Er wird das Scheitern höher stellen als jeden Erfolg, er wird es sogar suchen, unbewusst suchen, das versteht sich.
Denn das stets wesentliche Scheitern enthüllt uns selber, gestattet uns, uns zu sehen, wie Gott uns sieht, während Erfolg uns von dem entfernt, was in uns und in allem am innerlichsten ist,
(E.M. Cioran)
Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“
(Samuel Beckett)
Diesen zwei Zitaten Kann man fast nichts weiter hinzufügen. Denn diese geben schon einmal einen sehr guten Einblick in die Materie der Selbstentblößung.
Während des Tuns ist man dem Kontrollverlust immer auch nahe, erst nach dem alles zusammengebrochen ist, im wörtlichen Sinn, hat sich die Sache stabilisiert.
Jede Handlung enthält auch die gegenteilige, das beginnt ja schon mit dem alltäglichen aufstehen, sich der Schwerkraft entgegenzustellen, Richtung Licht.
(Christian Eisenberger)
Kontrollverlust wird in unserer Gesellschaft als etwas Negatives gesehen, weil es mit Scheitern und Versagen gleichgestellt wird. Unsere Welt basiert auf Werten wie Multitasking und Perfektionismus – Social Media und Biohacking sind längst Teil von uns und verstärken diese Werte und die negativen Effekte, die damit einhergehen. Wir haben verlernt zu sein und funktionieren nur ständig. Das bedeutet Anspannung und Stress; ständige Begleiterscheinungen unseres Lebens. Von denen kann ich mich selbst auch kaum lösen. Sich von diesem Gesellschaftssystem zu distanzieren, heißt auch zuerst Kontrolle über sich selbst verschaffen zu müssen und über die eigenen Gedanken, was dann wieder eine Einschränkung ist.
Mit Malerei kann ich aus diesen Zwängen herausfinden; beim Malen gibt es keine Ziele oder Erwartungen für mich. Ich kann mich dann ganz dem hingeben. Kunst ist für mich eine Möglichkeit Kontrollverlust zu üben; sie fungiert als ein Ausweg für die Zwänge unserer Gesellschaft. Man lernt damit, dass unerwartete, großartige Sachen mit dieser gewonnenen Freiheit passieren können. Losing Control ist indem Sinne auch meiner Malweise immanent. Indem ich das Malen als eine Alltagspraxis selbst als Ventil nutze und als Möglichkeit sehe meine Emotionen für mich veranschaulichen zu können. Das gelingt mir am besten durch das direkte Auftragen der Farben aus Tuben und mit Fingern, ohne Pinsel. In dem Prozess lasse ich mich von der Leinwand und meinen Gefühlen leiten.
(Denise Rudolf Frank)
Ich sitze vor acht Erdölproben. Ein angenehmer, aber auch abstoßender Geruch schwappt zu mir über. Die braun schwarzen Substanzen in den Röhrchen stehen zur genauen Betrachtung bereit. Durchs dünne Glas versuche ich die Farbtöne zu differenzieren.
Der Geruch um mich wird beißend und beginnt meinen Hals zu belegen, ich greife diesen tastend ab und fühle eine Anschwellung. Ein Gefühl der Beunruhigung überfällt mich, ich halte kurz inne, schwenke aber den Kopf und fokussiere mich wieder auf die Proben.
Nun mache ich gerade das von dem die Erdölingenieure abraten und führe die Eprouvetten zu meiner Nase, um den aufsteigenden Odor des Rohöls zu riechen. Die unterschiedlichen Erdöl-Gerüche wahrzunehmen und auseinander zu halten, fasziniert mich und ich mache weiter. Man sollte es nicht tun.
In seinem Vorwort zu „Oil Culture“ stellt Allan Stoekl fest, dass die fortschrittlichste menschliche Kultur erst dann ihren natürlichen Status erkennt, wenn sie Erdöl wirklich begreift und wenn sie folglich nicht nur die Grenzen des Wachstums, sondern all die möglichen Handlungsspielräume erkennt.
Im gegenwärtigen Diskurs zur Klimakrise werden die möglichen Handlungsspielräume kaum diskutiert und die Trägheit des vom Menschen geschaffenen Systems gibt kaum Raum für raschere Veränderungen. So kann in diesem Zusammenhang von einem äußerst zähflüssigem System gesprochen werden, welches sich einem notwendigen Flow widersetzt. Die fluide Metapher, angelehnt an die Eigenschaft der systemrelevanten Ressource Erdöl, spiegelt den trägen Zustand unseres globalen Systems. Es stellt sich die wichtige Frage, wie man durch die Analyse und Beschreibung unserer modernen Erdölkultur die notwendigen Handlungsräume erkennen und künstlerisch beschreiben kann.
„Reflecting Oil“ ist ein Versuch das von Allan Stoekl postulierte notwendige Begreifen von Erdöl experimentell umzusetzen und die Substanz und ihre kulturellen Manifestationen mittels künstlerischer Forschung in all ihren Facetten annähernd zu verstehen.
Dieser Prozess ist ein komplexes Unterfangen, überschreitet wissenschaftliche Vorgaben und entzieht sich bewusst der Kontrolle. Erst durch die Zweckentfremdung des Funktionellen und durch das Einlassen auf das nicht Absehbare kann Neues entstehen, wobei auch ein Scheitern möglich ist.
(Reflecting Oil, Ernst Logar)
„
Ab_er_neuerung und
Die Vergangenheit ist unvorhersehbar
Es bleibt wie es wird
Ausrasten Ausrasten Ausrasten
Die Uneinigkeit führt zum System der
Stimmenmehrheit
Unantastbarer Opferstatus
Flache Lernkurve
Das Gras noch müssen wir ausreißen
Damit es grün bleibt
Gestern heute morgen
Nichts von mir
Alles gestohlen
“
[Quellen der Textcoallagen:
Bertolt Brecht, Antonia Birnbaum, Heiner Müller, Markus Redl]
Giving up Control
Kontrolle gibt Sicherheit.
Wenn ich etwas vermeintlich kontrollieren kann, weiß ich von vorn herein, wie es sich entwickelt, kann es voraussagen und planen. Aber ist das nicht ein Widerspruch in sich? Wie kann ich alles – eine hochkomplexe dynamische Situation mit unzähligen Mitwirkenden, bekannten und unbekannten – überschauen und im nächsten Schritt sogar zu meinen Gunsten lenken?
Wir wissen um die Unmöglichkeit eines Kontrollieren-Könnens und trotzdem zeigt sich im Begehren danach ein blinder Fleck: unsere anthropozentrische Selbstüberschätzung. Geht doch eine Suggestion von Kontrolle oft einher mit unserer unkritischen Akzeptanz als gegeben angenommener fixer Einflussgrößen.
Es stimmt, wir können die eigene Perspektive nicht verlassen, aber was hilft, ist Durchlässigkeit, mehr Fokus auf Verbindendes, ein Erweitern unseres Vorstellungsvermögens – eine lebendige Beweglichkeit, die aus einer Aufmerksamkeit im Moment entsteht. Eine Aufmerksamkeit, die François Jullien als Disponibilität bezeichnet.[1] Eine „Offenständigkeit“, die einen Bereich des Dazwischen eröffnet und in einem Loslassen eine neue Aufnahmebereitschaft bringt. Das Potenzial darin: Jedes Verlieren ist zugleich ein Erhalten. Also was erhalten wir, wenn wir die Kontrolle verlieren?
„Loslassen“ heißt nicht „fallen lassen“, „aus der Hand geben“ heißt nicht „verlieren“ – sondern zulassen und vertrauen, vor allem in die eigene Intuition. Als sedimentierte Erinnerung wird sie zum Kompass in der Suche danach, was in vielen Dingen eins ist.
Es gibt verschiedene Techniken, diesen Raum der Interdependenz zu öffnen, zu halten und zu pflegen – Kunst ist eine davon. Allen gemeinsam ist als Voraussetzung ein genaues Beobachten, Präsenz und wiederholendes Üben, das einem „Gardening“ gleicht. Auch hier ist das Ergebnis offen und das Nicht-Festhalten eine schwierige Aufgabe, die sich immer neu stellt – in der jeweiligen Frage mit unbekanntem Ausgang. Ein „Gardening“, das auch die Autorschaft neu begreift – in einem eigentlichen Wortsinn von „augere“ als fördern, veranlassen, vermehren, befruchten. In diesem öffnet sich der Raum erst in der Anerkennung, dass er nicht meiner Kontrolle unterliegt. Meine Arbeit als Autorin diesem Raum gegenüber ist, ihn zu ermöglichen, zu pflegen, zu betreuen und neue Fragen abzuleiten, um ihn zu erweitern. Lebendig ist die Auseinandersetzung aber nur dort, wo das Wagnis so groß ist, dass es scheitern kann.
In der künstlerischen Forschung habe ich gelernt, ein Vertrauen zu entwickeln, dass alles, was es braucht, vorhanden ist und das Geschehen informiert – Zeit, Personalressourcen, Material. Es kommt darauf an, dieses Potenzial aufmerksam zu lesen und auch im Mangel oder im Hindernis, wenn zum Beispiel eine Genehmigung nicht erteilt wird, damit zu arbeiten – als Möglichkeitsraum, der wieder neue Fragen stellt. Der Umweg, der mich dazu bringt, die Kontrolle gegen den eigenen Willen zu verlieren, ermöglicht die Erfahrung zu lernen, sie freiwillig abzugeben. Das „losing control“ wird zu „giving up control“.
Diese Einsichten aus der künstlerischen Arbeit in den Alltag zu übertragen, im Wortsinn „überzusetzen“ ist ein komplizierter Prozess, allerdings ist im täglichen Wechsel der Rollen, Anforderungen und Räume auch das Nicht-Wissen als Antwort gültig. In diesen Momenten ist das Loslassen als Zustimmung zum Nicht-Kontrollieren nicht weit vom Lösen, also vom „Zergehen lassen“, „Flüssigmachen“. Ein Lösen, das selbst neue Mischungen hervorbringt.
(Almut Rink)
[1] Francois Jullien: Vom Sein zum Leben. Euro-chinesisches Lexikon des Denkens.
Berlin 2018.
Der Arbeitsprozess hat immer auch paradoxe Momente in sich. Man schwankt zwischen Fokussierung und Loslassen. Bekanntlich ist der Zufall ein großer Meister.
Mich fasziniert auch der Gedanke an ein tief verwurzeltes Urerbe, das den Menschen mit allen Lebensformen auf dem Planeten verbindet, während wir alle im Strom der Evolution hecheln.
Ich glaube, es bricht genau in Momenten abgeschalteter Kontrollfunktionen des Hirns hervor, wenn wir intuitiv und spontan reagieren. Ich bin auf der Suche nach diesem evolutionären Urstrom in mir, sei es in der Malerei, Zeichnung oder wenn ich Musik mache.
(Hubert Scheibl)