Lilli Hollein: Kunst ist die Könnerin des kontrollierten Kontrollverlustes
Lilli Hollein ist Generaldirektorin des MAK.
„Lose Control!“, im Imperativ und mit der Stimme von Missy Elliott und mit Soundzitaten von Kraftwerk unterlegt, das kommt mir sofort in den Sinn. Noch dazu ist es einer meiner Lieblingstracks von dieser Musikerin. Dabei mag ich wie wohl die Meisten das Gefühl, alles und alle in meiner Verantwortung auch unter Kontrolle zu haben.
Missys Befehl zum Kontrollverlust ist aber auch ein double binding.
In Zeiten der Selbstoptimierung will selbst der Kontrollverlust gesteuert und geplant sein!
Und plötzlich bricht etwas über uns herein, was niemand in der Welt in der Hand hat, nicht planen und ganz offenbar auch nicht kontrollieren kann – trotz all der Veränderungen und Einschränkungen, die wir für undenkbar und undurchsetzbar gehalten hätten, noch vor zwei Jahren.
Was schmerzt ist ja nicht allein die Kontrolle, die einem da sehenden Auges entgleitet, sondern die Erkenntnis, dass es eine Illusion ist, jemals dauerhaft Kontrolle haben und behalten zu können, denn die Dinge verändern sich ständig und erfordern einen neuen Blick und eine neue Einschätzung.
Kreativität ist die Fähigkeit auf sich ändernde Situationen außergewöhnlich, intelligent und flexibel reagieren zu können und etwas beizutragen. Resilienz ist die Fähigkeit, diesen Zustand, sich wiederholt auf etwas Neues, Anderes einstellen zu müssen, dauerhaft zu bewältigen oder auch sich beständig dagegen aufzulehnen.
Kunst hat diese Fähigkeiten. Seit jeher. Und sie ist auch das Instrument der Stunde, der Krise. Kunst ist die Könnerin des kontrollierten Kontrollverlustes. Losing Control ist in diesem Sinne ein Versprechen, keine Bedrohung.