Lange verkannt, jetzt gewürdigt – Gabriele Münter im Leopold Museum
„Ich war in vielen Augen eine unnötige Beigabe zu Kandinsky“. Mit dieser Aussage beginnt die große Retrospektive dieser lange verkannten Künstlerin im Leopold Museum. Ein Text von Sabine B. Vogel.
Knapp drei Zentimeter klein waren die Tagebücher, in die Gabriele Münter ihre Gedanken schrieb. 1926 notiert sie darin: „Ich war in vielen Augen eine unnötige Beigabe zu Kandinsky“. Mit dieser Aussage beginnt jetzt die große Retrospektive dieser lange verkannten Künstlerin im Leopold Museum. Rund 140 Exponate rücken hier die Kunstgeschichte zurecht, die der Malerin lange nur eine biographisch motivierte Randposition zugestand: Geboren 1877 in Berlin in wohlhabenden Verhältnissen, nahm Münter ab 1897 immer wieder Privatunterricht bei Malern und in ´Damenakademien´– Frauen war damals der Zugang zu Kunstakademien verschlossen. 1901 zog sie nach München und belegte an der Malschule „Phalanx“ Kurse in Aktzeichnen und Malerei bei Wassily Kandinsky. Sie wurde seine Geliebte. Kriegsbedingt musste der russischstämmige Maler nach Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 Deutschland verlassen, zusammen gingen sie in die Schweiz. 1915 zog Münter nach Stockholm, 1916 zog Kandinsky nach Moskau. Kurz sah Münter 1917 ihren Geliebten noch einmal, bevor er den Kontakt endgültig abbrach. Jahre später erfuhr sie, dass er 1917 die wesentlich jüngere Nina Andreevskaja geheiratet hatte.
In den zwölf „Themeninseln“ im Leopold Museum sind die Werke Münters mit Informationen über ihren Lebensweg verbunden. In ihren Bildern allerdings spiegeln sich ihre teils traumatischen Lebensmomente nicht wider. Ihre frühen Werke werden dem Expressionismus zugeordnet, die Farben sind kräftig, die Motive der Stillleben und Landschaften reduziert. Anders als ihr Geliebter probierte sie zwar den Weg in die radikale Abstraktion, blieb aber doch immer der Gegenständlichkeit verhaftet – manchmal fast bis zur Naiven Malerei.
Zeitgleich mit Münters Retrospektive läuft im Leopold Museum auch eine Max Oppenheimer-Retrospektive mit Schwerpunkt auf Portraits – welch ein Unterschied zu Münters Portraits! Oppenheimers Werke sind von starken Emotionen geprägt, allein in die – von Schiele inspirierte – Darstellung der Hände legt Oppenheimer einen Ausdruck von Kampf und Verzweiflung. In Münters Werken dagegen herrscht selbst noch in jenen der Neuen Sachlichkeit zugeordneten, späteren Werken eine heile Welt – vielleicht, weil sie eine „zurückhaltende Person“ war, wie es in dem Arte-Portrait heißt? Die Leopold-Retrospektive gibt dafür keine Anhaltspunkte, aber eines wird hier deutlich: Die große Stärke der Künstlerin lag in ihrer kompromisslosen Eigenständigkeit. In einer Zeit, in der die Kunst von einem klaren Kanon bestimmt war, in der künstlerischer Erfolg eng mit der Zugehörigkeit zu Stilen und Schulen verbunden war, blieb Münter immer ihrer sehr eigenen Bildsprache verbunden.