Johan Hartle: Rituale fixieren Traditionen
Johan Hartle ist Rektor der Akademie der bildenden Künste Wien.
Rituale sind praktische Ordnungssysteme, die eine gemeinsame Orientierung, einen gemeinschaftlichen Ruhepol bieten. Sie fixieren Traditionen und sind oftmals auch allein in Zufall oder Tradition begründet. Deswegen ist das alltägliche Verständnis von Ritualen an soziale Kontexte wie Familie, Vereinswesen und Religion gebunden. Im Selbstverständnis auf Wachstum angelegter dynamischer Gesellschaften haben Rituale scheinbar an Bedeutung verloren. Gleichwohl finden auch komplexe und dynamische Gesellschaften in Routinen und Ritualen ihre Bestätigung – in Ritualen des Konsums, der Hierarchie, der Arbeitsorganisation etc. Künstlerische Praxis erlaubt zweierlei: Sie legt die rituelle Struktur vermeintlich postritueller Gesellschaften frei und die Traditionsressourcen, auf die sie aufbauen. Zugleich stiften sie eigene Rituale – und unterbrechen gegebenenfalls. Für die Akademie der bildenden Künste Wien ist die kritische Auseinandersetzung mit identitätsstiftenden Ritualen ihrerseits identitätsbildend. So schafft sie neue Perspektiven auf den Umgang mit Menschen, Materialien und Dingen.