VIENNA ART WEEK 2021

Johan F. Hartle: Kontrollverlust ist von jeher ein Element ästhetischer Erfahrung

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Johan F. Hartle ist Rektor der Akademie der bildenden Künste Wien.

Foto: Sophie Tiller

Kontrollverlust ist von jeher ein Element ästhetischer Erfahrung, das der Konfrontation mit Unbekanntem, Singulärem und Zwecklosem folgt, für das man noch keinen Begriff gefunden hat. Mit zahlreichen begrifflichen Figuren hat die ästhetische Erfahrung mit diesem Phänomen gerungen, mit dem Schönen, Erhabenen oder Je ne Sais Quoi. So hat sich die Kunst jenseits des Berechenbaren und Kontrollierbaren ihre eigene Sprache gesucht und insofern war die Kunst schon immer anarchisch.

Dieser anarchische Impuls hat sich auch in die gesellschaftliche Struktur des Kunstfeldes hineingerettet. In ihr finden die an den Rand gedrängten politischen Erfahrungen Gehör. Die Frage wessen Kunst die Kunst ist und von wem sie (lieber nicht) kontrolliert werden sollte wird in dieser Struktur am Leben gehalten. Kunst als gesellschaftliche Erfahrung ist historisch auch eine Subversion von Kontrolle und vermeintlich souveräner Macht.

Dabei ist die Kunst untergründige Koalitionen eingegangen – auch mit dem, was man Kontrollgesellschaft genannt hat. Aber auch mit der untergründigen Anpassung an die Imperative der Macht durch Selbstoptimierung und fortwährende Selbstprüfung, gepaart mit dezentralen Systemen allseitiger Sichtbarkeit: Überwachungskameras und Social Media. Die Optimierung von Kontrolle hat sich nicht zuletzt anhand von exhibitionistischen Praktiken entfaltet, die in der Kunst immer wieder ihre Vorreiter_innen gefunden hat.

Die Fragen danach, wie man sich selbst der Kontrollgesellschaft und die Kunst den dominanten Machtzentren entzieht und so den Kontrollverlust produktiv am Leben erhält, ist keine einfache. Für eine Kunstpraxis, die gesellschaftliche Kontrolle in der Schwebe halten möchte und sich in der Auseinandersetzung mit ihr die notwendigen Freiräume schafft, ist die Frage des Kontrollverlusts jedoch existenziell. Die Akademie der bildenden Künste Wien ermutigt zu einer solchen Kunstpraxis!