Heilvolles Durcheinander. Zu Besuch bei Mark Dion
CRITIC'S PICKS FOR VIENNA ART WEEK:
Mark Dion. The Flea Market and other Object Lessons
Ordnung und Willkür gelten gemeinhin als Antipoden, als zwei sich feindlich gegenüberstehende Prinzipien der Welt(v)erschließung. Bei näherer Betrachtung zeigt sich natürlich: Die Dinge liegen etwas komplizierter. Zu dem intimen Zusammenhang von Ordnung und Willkür gibt uns eine kleine (seit ihrer Verwendung durch Michel Foucault kanonische) Passage im Werk Jorge Luis Borges‘ einen Hinweis. Der Autor zitiert darin eine „gewisse chinesische Enzyklopädie“, der zufolge „die Tiere sich wie folgt unterteilen: a) dem Kaiser gehörige, b) einbalsamierte, c) gezähmte, d) Milchschweine e) Sirenen etc.“ Die Liste schließt mit: „n) Tiere, die von weitem wie Fliegen aussehen.“ Borges‘ Taxinomie folgt keiner erkennbaren bzw. bekannten Logik der sinnvollen Reihung oder Anordnung von Objekten. Foucault erkannte in dieser „Bizarrerie ungewohnten Zusammentreffens“ den (uneingestandenen) Urgrund der modernen Wissenschaft. In „Die Ordnung der Dinge“, seiner fulminanten, von Borges inspirierten „Archäologie der Humanwissenschaften“, vertritt er die These, dass alle Wissensordnungen – wie immer elaboriert, umfassend und in sich selber schlüssig – auf in letzter Konsequenz nicht begründbaren, kontingenten Setzungen beruhen, mit einem Wort: auf Willkür.
Die Frage, nach welchen Prinzipien wir Dinge ordnen und als Objekte wissenschaftlicher Erkenntnis qualifizieren (bzw. disqualifizieren), führt mitten ins Zentrum der künstlerischen Praxis von Mark Dion. Seit über 30 Jahren setzt sich der 1966 in New Bedford, Massachusetts geborene Künstler mit den Mechanismen wissenschaftlicher Organisations- und Repräsentationsregime auseinander. Dabei begibt er sich immer wieder auch aktiv selbst – mit ortsspezifischen Interventionen – ins Feld: Naturhistorische Museen und Sammlungen bilden das Terrain seiner Kunst. Unter dem Titel „The Flea Market and other Object Lessons“ zeigt Georg Kargl Fine Arts derzeit Arbeiten des Künstlers – Zeichnungen, Assemblagen und eine Installation – aus den letzten eineinhalb Jahren, nebst einer kleinen Auswahl von Zeichnungen von 2010/11.
Der programmatische Titel („object lessons“) lässt es schon vermuten: In der Ausstellung geht es ums Lernen, d.h. richtiger, ums Ver-Lernen. Formal stellt sich die Show in die Tradition der naturkundlichen Lehrausstellung. Schaubilder, Vitrinen, Tierpräparate, Kolonialdevotionalien – Dion zitiert das ganze Programm naturkundlicher Didaktik. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf eine Serie großformatiger, an die Ästhetik von Schulkarten erinnernder Tuschezeichnungen. Mit großer Akribie ist darauf das Innenleben unterschiedlicher Tiere und Pflanzen wiedergegeben. Allein, irgendetwas scheint bei der Beschriftung der Karten schiefgegangen zu sein: Statt Tier- und Pflanzennamen stehen die Namen einflussreicher Avantgarde-Künstler des 20. Jahrhunderts auf den Bildern. In die Zeichenwelt der Biologie haben sich die Schlagworte des Kunstdiskurses verirrt. Das elementarste Ordnungskriterium der Moderne ist hier kurzerhand außer Kraft gesetzt: die Differenz von Natur und Kultur.
Im Zeitalter des Barock nahm man es mit der Kultur-Natur-Differenz bekanntlich noch nicht so genau, wofür emblematisch die Wunderkammer steht. Naturalien und Artefakte waren hier noch Teil desselben Ensembles. Als Reminiszenzen an diese Logik des Kuriosen und Wunderlichen können die Assemblagen aus Dions „Collectors“-Serie betrachtet werden: skurrile Arrangements aus ausgestopften Vögeln und exzentrischen Kopfbedeckungen. Sie nehmen bereits einige Aspekte der titelgebenden Installation im hinteren Teil der Galerie vorweg: „Flea Market (Homage to Georg Kargl)“. Das vierteilige Ensemble präsentiert eine Auswahl von Fundstücken von Wiener Flohmärkten. Jedes der Arrangements ist eine Allegorie auf eines der vier Elemente, Feuer, Wasser, Erde, Luft.
Ordnungen, erinnert uns Dion, basieren immer auf kontingenten Übereinkünften. Sie sind den Dingen nicht unmittelbar inhärent, wir prägen sie ihnen auf. Dabei kann es vorkommen, dass wir die Dinge selbst vielmals nur noch in Hinblick auf das betrachten, was sie ‚ordnungsgemäß‘ repräsentieren. Wir ordnen sie ein, ohne sie tatsächlich zu studieren. „Flea market and other object lessons“ ist eine Einladung, den Dingen gegenüber eine andere Haltung einzunehmen, eine Haltung, wie sie dem Sammler und Liebhaber von Kuriositäten eigen ist: uns über sie zu wundern.
(Maximilian Steinborn)