EXHIBITIONS

Formen, die mich bewohnen – Simone Fattal in der Wiener Secession

In einer herrlich zeitlosen Präsentation wird die vielseitige Arbeit der beeindruckenden Künstlerin gezeigt. Ein Text von Sabine B. Vogel.

Simone Fattal, metaphorS, installation view, Secession 2024, photo: Iris Ranzinger

Ihr Werdegang ist bemerkenswert: 1942 in Damaskus geboren, als Philosophin in Paris ausgebildet, als Malerin in den 1960er Jahren in Beirut erfolgreich, gründete Simone Fattal 1982 in Kalifornien den Post-Apollo Press-Verlag für experimentelles Schreiben. Nach der Jahrtausendwende entstanden ihre Keramik-Skulpturen, die heute in den Sammlung großer Museen vertreten sind. Jetzt stellt die in Paris lebende Künstlerin im Hauptraum der Secession aus.

Simone Fattal, portraitiert von Sabo Day

Es ist eine herrlich zeitlose Präsentation mit Mengen von zu kleinen Gruppen geordneten Skulpturen, meist auf Podesten. Manchmal erinnern sie an Modelle für Wände, sind allerdings sehr klein, sehr dünn und vor allem sehr farbenfroh. Anderes erinnert an Pilze oder liegt als mit arabischen Schriftzeichen versehene Kugeln im Raum. Gegenüber bilden freistehende, rumpflose Unterkörper mit daraufgesetztem Kopf einen Halbkreis. Es sind Skulpturen, die in ihrer Eigenständigkeit faszinieren – und uns herausfordern.

Simone Fattal, metaphorS, installation view, Secession 2024, photo: Iris Ranzinger

Denn hier ist nichts einfach lesbar. Nichts folgt den so allgegenwärtigen identitätspolitischen Diskursen, weder Queerness noch Kolonialismus drängen sich hier auf – das hat die Künstlerin, die mit ihrer Partnerin Etel Adnan (1925-2021) zusammenlebte, nicht nötig. Ihre Kunst ist erfrischend diskursbefreit, zeitlos, zeigt eine Freude an der Formsuche, an der Arbeit mit ihren Händen, mit dem Material Ton, mit Keramik. Die Skulpturen sind oft grob geformt und doch fragil.

 

Rundherum hängen Collagen, die ähnlich offen angelegt sind. Auf einer Collage treffen Foto-Schnipsel der Wüste auf Eisberge, auf einer Karte lesen wir die geographische Angabe ‚Burr Desert‘ – ob damit jene Gegend im US-amerikanischen Bundesstaat Utah gemeint ist? Würde aber auch nicht mehr erklären. Sie erzähle „Geschichten von Menschlichkeit, Kultur und Gegenwart“, lesen wir im Pressetext, einige Figuren würden auf Adam, Gilgamesch, Dhat al-Himma referieren. Die Unterkörper seien „Metaphern für die menschliche Existenz“.

Simone Fattal, metaphorS, installation view, Secession 2024, photo: Iris Ranzinger

Für Qatar schuf sie eine – in Wien nicht ausgestellte – Skulptur in der Wüste nördlich von Doha. Beim Besuch im Februar erschienen uns die drei aus Granit gehauenen Werke wie Schutzräume, vor der Sonne, vor dem Sand. Im Katalog zur Secessions-Ausstellung erklärt sie im Interview mit Cecilia Alemani, sie habe hier „alle Elemente kombiniert, die ich in der Wüste vorfand, Pyramide, Zelt, Düne“. Das klingt nach Understatement, aber auch nach einer befreienden Unmittelbarkeit.

 

Ähnlich wie diese Außenskulpturen ist auch in den Objekten in der Secession die Grenze zwischen natürlicher und künstlerischer Form fließend. Oder wie sie im Interview sagt: „Ich kann wirklich nicht erklären, wie die Formen in mein Bewusstsein – und meinen Körper – kommen. (…) Ich glaube, dass diese Formen mich bewohnen.“

 

Simone Fattal, Wiener Secession, 21.6.-8.9.2024

Simone Fattals Skulpturen in Doha, Qatar. Foto: Sabine B. Vogel