Auf Galerientour durch Wien
Tour 1: Croy Nielsen – Sophie Tappeiner – Layr – Krinzinger – Wonnerth Dejaco
Ein Galerienrundgang mit Maria Christine Holter.
Maria Christine Holter ist Kunsthistorikerin und Kuratorin für Gegenwartskunst in Wien
www.mariaholter.at
Anfangspunkt unserer Tour zu fünf Top-Galerien für Gegenwartskunst im Herzen der Wiener Innenstadt – eingespannt zwischen Stadtpark und dem Altstadtviertel südöstlich der Kärntner Straße – ist die in Wien noch relativ neue Galerie CROY NIELSEN.
CROY NIELSEN
„Die programmatische Orientierung unserer Galerie ist über die Jahre organisch gewachsen und von persönlichen Vorlieben geprägt, vor allem aber vom künstlerischen Umfeld.“
Als Henrikke Nielsen und Oliver Croy 2016 ihre Tätigkeit von Berlin nach Wien in die Beletage des Palais Dumba am Parkring verlegten, trugen sie sowohl der Kontinuität als auch dem lokalen Kontext der Wiener Kunstszene Rechnung. Von den rund 20 künstlerischen Positionen – durchwegs internationalen Ranges – seien hier Nina Beier und Benoît Maire erwähnt, die seit den Anfängen in Berlin von CROY NIELSEN vertreten werden. Die Wiener Jahre brachten Zuwächse wie „Lokalmatadorin“ Elke Silvia Krystufek, aber auch internationale Kunstschaffende der jüngeren, vorwiegend in Wien lebenden und arbeitenden Generation wie Birke Gorm, Nicolas Jasmin oder Soshiro Matsubara.
„Dass wir nach Wien gingen, hatte weniger mit den Bedingungen in Berlin zu tun, als vielmehr mit dem Potential, das wir in Wien sehen. Wir beobachten das Geschehen hier sehr genau, auch das an der benachbarten Universität für angewandte Kunst und der Akademie am Schillerplatz.“
Auf den Digitalisierungsschub hin angesprochen (CROY NIELSEN waren Mitinitiatoren der Covid-19-bedingt rein virtuell abgewickelten Messe Interconti Wien im Jänner 2021) bemerkt Henrikke Nielsen: „Was sich in der letzten Zeit gezeigt hat, ist – neben der hohen Akzeptanz digitaler Angebote – dass die Lust an Galerienbesuchen wieder zugenommen hat. Weil die internationalen Messen ja größtenteils ausgefallen sind, wurden unsere Sammler (auch jene aus dem Ausland) aufmerksamer auf die Ausstellungen, die währenddessen in der Galerie stattgefunden haben.“
croynielsen.com
1010 Wien, Parkring 4
Dem Parkring Richtung Oper folgend, biegen wir rechts in die Liebenberggasse ein, wo sich an der gegenüberliegenden Ecke das legendäre Gartenbaukino befindet. Weiter die Gasse hinauf und am Palais Coburg vorbei, sind es nur noch wenige Schritte bis zur rätselhaft klingenden Adresse unseres nächsten Galerien-Stopps: An der Hülben 3. Dort lag vor der Aufhebung durch Josef II und dem Bau eines Gründerzeitwohnhauses das Augustiner-Chorfrauenkloster St. Jakob auf der Hülben. Historischen Quellen zufolge waren die adeligen Bewohnerinnen des Klosters hochgebildete, selbstbestimmte Frauen – vielleicht passte gerade deshalb Grita Insams Galerie (2005–2011) so gut hierher und seit 2017 die aufstrebende Galerie SOPHIE TAPPEINER.
SOPHIE TAPPEINER
„Ich sehe es als meine Aufgabe, kritisches und engagiertes Kunstschaffen aus dem Blickwinkel des intersektionalen Feminismus zu betrachten und ein Publikum dafür zu gewinnen.“
Wen wundert es nach dieser Ansage der Galeristin, dass von den derzeit neun vertretenen künstlerischen Positionen nach binären Geschlechtszuweisungen nur eine die eines Mannes ist? Mit Sophie Thun, Angelika Loderer, Irina Lotarevich und Jala Wahid – um nur einige der durchwegs eine transmediale Praxis verfolgenden, international bestens vernetzten Künstlerinnen herauszugreifen – hält Tappeiner ohnehin alle Trümpfe in der Hand, die eine lustvolle, mehrdimensionale Auseinandersetzung mit Kunst in ansprechenden Räumlichkeiten garantieren.
„Es war Glück, wie ich dieses Erdgeschoß-Lokal An der Hülben bekam“, erinnert sich Sophie Tappeiner: „Das erste Mal besuchte ich den Raum, um an einer Artist Lecture Series der Skulpturenklasse von Hans Schabus [Universität für angewandte Kunst] teilzunehmen. Damals hatte ich noch gar nicht geplant, eine Galerie zu eröffnen, doch der Raum gefiel mir so gut, dass ich Hans gegenüber eine Bemerkung machte, was für ein gutes Ambiente der lichtdurchflutete Raum böte. Als die Angewandte später dort auszog und mich Schabus deswegen anrief, habe ich nach langen Verhandlungen mit den Besitzern den Raum zugesagt bekommen.“
Ihrem Impuls folgend und sich in guter Nachbarschaft mit den exzellenten Galerien dieses Viertels wissend, eröffnete Tappeiner im Juni 2017 die ihre. Sie war in diesem Jahr eine jener vornehmlich weiblichen „Thirtysomethings“, die eine Neugründung in diesem risikoreichen Berufsfeld wagten und geradezu einen Boom damit auslösten. Plötzlich war es wieder hip, für ein jüngeres Publikum durch Galerien zu streifen. Aber nicht nur die neu dazugewonnene Klientel schätzt die Expertise der Galeristin, auch erfahrene Besucherinnen und Besucher lassen sich gerne von Tappeiner persönlich durch die installativ inszenierten Ausstellungen führen und von ihrer Überzeugung für die Arbeiten ihrer Künstlerinnen und Künstler mitreißen.
sophietappeiner.com
1010 Wien, An der Hülben 3
Eine der erwähnten Top-Galerien in unmittelbarer Nähe zur Galerie SOPHIE TAPPEINER ist die in Sichtweite befindliche Galerie LAYR im Erdgeschoß des Eckhauses Seilerstätte 2 / An der Hülben 6. Das anstelle von Altsubstanz, dem Haus der „Lukas Knaffel’sche Universitätsstiftung“, von Ferdinand Fellner 1860 errichtete Gründerzeitgebäude, ist, seinem Stiftungszweck aus dem 17. Jahrhundert treu bleibend, bis heute Sitz mehrerer Slowenischer Kulturinstitutionen und wurde mit der Galerie Emanuel Layr als Brücke in die Gegenwarts definitiv aufgewertet.
LAYR
„In das Galeriewesen bin ich schon als Student eingestiegen, weil ich aktiv und unmittelbar mit Kunst bzw. Kunstschaffenden arbeiten und Ausstellungen machen wollte, was in keinem anderem Bereich so rasch möglich gewesen wäre – vor allem nicht im Wien der Jahrtausendwende.“
Gemeinsam mit Thomas Wüstenhagen 2005 als Galerie LayrWüstenhagen in der Nähe des Museumsquartiers gegründet, wird sie von Emanuel Layr seit 2011 unter dem Label „LAYR“ alleine geführt. 2015 übersiedelte sie in die repräsentativen Räumlichkeiten im 1. Bezirk und seit 2017 gibt es eine Dependance in Rom.
Als eine der wenigen jungen, innovativen, zu Anfang des neuen Jahrtausends in Wien gegründeten Galerien, gelang es Emanuel Layr in rund 15 Jahren Galeristentätigkeit international mit seinem ambitionierten Programm zu reüssieren, das u.a. Positionen wie Anna-Sophie Berger, Gaylen Gerber, Lena Henke, Nick Oberthaler oder Philipp Timischl umfasst. Zudem ist die Galerie Exklusivvertretung des bereits verstorbenen slowakischen Neo-Avantgardisten Stano Filko und der jungen belgisch-amerikanischen Künstlerin Cécile B. Evans. Sie wird damit ihrem Anspruch, als international agierende Drehscheibe für Kunst unterschiedlicher Generationen und kultureller oder diskursiver Hintergründe zu wirken, gerecht und richtet sich auch an ein ebensolches Publikum.Welchen Stellenwert in der Vermittlung dabei digitale Kommunikationsformen einnähmen?
„Social Media und andere digitale Kommunikationsformen sehen wir als Tools um Inhalte zu vermitteln – als Ergänzung zu den Ausstellungen und klassischen Medien wie Webseite, Newsletter, etc. Manchmal ist es möglich, an diesen Orten gemeinsam mit den Kunstschaffenden etwas zu entwickeln, aber sonst greifen wir hierfür auf Fotografie und Videodokumentation zurück. Dass man beispielsweise Podcasts und Videos einfach und selbst produzieren kann, hilft natürlich die Ausstellungen schneller und weiter zu verbreiten…“
emanuellayr.com
1010 Wien, Seilerstätte 2
Wenige Schritte von LAYR, die Seilerstätte hinunter Richtung Schwarzenbergplatz, liegt das ehemalige Etablissement Ronacher, heute Musicalspielstätte der Vereinigten Bühnen Wien, und rechts vis a vis, an der Ecke zur Himmelpfortgasse, der ebenfalls von den Architekten Fellner & Helmer erbaute „Residenzhof“. Die Prunkräume der Seilerstätte 16 beherbergten zur Gründerzeit das Offizierscasino des Residenz Clubs und sind seit 1986 „Spielstätte“ für eine der renommiertesten Galerien Österreichs, der Galerie KRINZINGER.
KRINZINGER
„Als ich hier in den 1980er-Jahren anfing, gab es in diesem Grätzl im Grunde nur uns drei Frauen.“ …
… erzählt Ursula Krinzinger und meint damit Rosemarie Schwarzwälder (Galerie nächst St. Stephan), Grita Insam, die 2012 verstorbene Galeristin, und sich. „Wir haben damals alles an Knowhow miteinander geteilt, uns gegenseitig unterstützt, der Konkurrenzgedanke lag uns fern. Heute gibt es einen ganz anderen Druck in dem sich ständig wandelnden Feld und dem fast unüberschaubar gewordenen globalen Kunstmarkt. Man wird sehen, aber ich habe das Gefühl, dass die Pandemie uns in diesem Viertel wieder mehr zusammenrücken lassen wird.“
Die von der Kunsthistorikerin Dr. Ursula Krinzinger nach Bregenz und Innsbruck(1971 bzw. 1972) 1986 in Wien gegründete und seit 2021 gemeinsam mit Sohn Thomas geführte Galerie legt ihren Fokus auf performative und körperbezogene künstlerische Praktiken. Ausgehend vom Wiener Aktionismus über die bahnbrechenden Performances der bereits 1975 in Innsbruck erstmals präsentierten jungen Marina Abramović bis zu den in Österreich Anfang der 1990er-Jahre nur einem Fachpublikum bekannten US-Künstlern Chris Burden und Mike Kelley, etablierte sich die Galerie rasch zu einer der ersten Adressen dieser Art.
„In nahezu 500 Ausstellungen, zahlreichen Symposien, Gastkurationen und Residencies haben wir es geschafft, die österreichische Kunst international zu positionieren und internationale Größen nach Wien zu bringen“, freuen sich Ursula und Thomas Krinzinger.
Die auch nationale und internationale Kunstschaffende der jüngeren Generation aufweisende Künstlerliste liest sich wie ein Who‘s who der Gegenwartskunst und spiegelt dennoch das persönliche Naheverhältnis, den intensiven Austausch der beiden Galeristen mit ihren Künstlerinnen und Künstlern wider. Mutter und Sohn sind sich einig, dass das Konzept der Galerie auf der Seilerstätte und jenes des seit 2002 existierenden „Experimentierfelds“ KRINZINGER PROJEKTE in der Schottenfeldgasse auch in Zukunft voll ausgeschöpft und angenommen werden wird.
galerie-krinzinger.at
1010, Seilerstätte 16
Die Weihburggasse Richtung Kärntnerstraße spazierend, besuchen wir als letztes Highlight unserer Tour die Newcomerin unter den Wiener Innenstadt-Galerien: WONNERTH DEJACO. Vom Franziskanerplatz her gelangt man durch einen pittoresken Torbogen in das gekrümmte Altstadtgässchen, das die Galerie beherbergt und nach einem der ältesten Ballspielhäuser Wiens benannt ist – die Ballgasse.
WONNERTH DEJACO
„Unsere Galerie soll ein Ort der persönlichen Begegnung und des Diskurses sein!“
Im September 2020, während der kurzen herbstlichen Aufbruchstimmung des ersten Pandemie-Jahres, eröffneten Victoria Dejaco und Michael Wonnerth-Magnusson ihre Galerieräumlichkeiten im Hofteil des spätbarocken Bürgerhauses „Zum alten Blumenstock“ in der Ballgasse 6, welches in den 1980er-Jahren schon die legendäre Galerie Peter Pakesch beheimatet hatte. Nachdem die beiden Kunsthistoriker jahrelang für Galerien, Kunstvereine und Sammlungen gearbeitet oder kuratiert hatten, beschlossen sie, gemeinsame Sache zu machen: die Gründung einer Galerie, die auf Dialog, Wertschätzung und Professionalität in einer persönlichen Atmosphäre setzt.
Schon beim Betreten des Pawlatschen-geschmückten Innenhofes fällt der Blick ungehindert durch ein großes Sprossenfenster auf den Schreibtisch der Galeristen. „Wir haben unser Büro bewusst für alle einsichtig und als Durchgangsbereich eingerichtet – es ist ein multifunktionaler Raum, der zugleich Arbeitsplatz, Lager und Herz der Kommunikation ist“, erläutert Neogaleristin Victoria Dejaco.
Während unseres Gesprächs findet ein reges Kommen und Gehen statt. Man grüßt sich freundschaftlich und auch neue Gäste der Galerie werden einander nach Möglichkeit vorgestellt. Für die derzeit sieben Galeriekünstlerinnen und -künstler Philipp Fleischmann, Katharina Höglinger, Axel Koschier, Thea Moeller, Georg Petermichl, Ellen Schafer und Constanze Schweiger ist WONNERTH DEJACO eine Art Home-Base, von wo aus Vernetzung und reger Diskurs stattfindet .
Michael Wonnerth-Magnusson erinnert sich: „Aus den Erfahrungen, die ich in der Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern aus der pulsierenden Wiener Off-Space-Szene gemacht hatte, wurde mir bewusst, dass es dringend notwendig ist, mehr von ihnen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen – im heimischen Kulturbetrieb, aber auch am internationalen Kunstmarkt – … und in Victoria habe ich dafür das perfekte Gegenüber gefunden, denn auch ihr Ziel ist es, sich für die lebendige österreichische Szene, die teilweise in der Wiener Galerienlandschaft unterrepräsentiert ist, stark zu machen.“
wonnerthdejaco.com
1010, Ballgasse 6