Eating your cake and baking it anew
CRITIC'S PICKS FOR VIENNA ART WEEK
Miriam Stoney: Indebtedness. Die Haftung der Geschenknehmenden
Bhangra-Musik umrahmt den Ausstellungsraum. Der Blick fällt auf zwei unscheinbare Volumina: konkave Formen, die auch auch als reduzierte Architekturmodelle geziegelter Industriehallen erscheinen könnten. Sie entpuppen sich als gestapelte Publikationen. Die „Scunthorpe Correspondences“ zwischen Miriam Stoney und Tom Glencross verankern Stoneys installativen Arbeiten in ihrem Ausstellungsprojekt „Indebtedness: Die Haftung der Geschenknehmenden.“ Ins Labyrinth nicht-linearer Geschichtsschreibungsprozesse dringen Fragen zu dem Verhältnis von Aneignung und der daraus resultierenden Verschuldung. Konsequent widersetzen sich diese dem klaren Rhythmus der Musik.
Es sind flüchtige Objekte, die sich hier neben Schwarz-Weiß-Fotografien akkumulieren. Der schwindende Glanz der Stahlstadt, in der Stoney und Glencross aufgewachsen sind, die Ernüchterung der arbeitenden Klasse und eine ehrgeizige, jedoch anonyme Konformität zeichnen eine bewegte Stille. Als dezentes räumliches Referenzwerk begleiten einfache Wohnhäuser und leere Straßen sechs Werke dekolonialer, feministischer und kapitalismuskritischer Theorie. Mit Verweis auf ein Ritual des Sikhismus hat Stoney die Bücher in Miniaturbetten niedergelegt und gleichzeitig durch den raumfüllenden Sound eines Punjabi Garage Mix des DJs Yung Singh wieder geweckt. Das Sprachlehrbuch für Punjabi verharrt jedoch behütet und gut zugedeckt auf seiner Matratze. Warten auf die Stille, die in trügerische Sicherheit bettet und so die unangenehmen Gedanken nach dem persönlichen Beitrag in der Fortschreibung hierarchischer, aneignender Strukturen ausspart. Der Mix läuft im Loop. Eine der Fotografien zeigt den Kreisverkehr, in dem man sich wiederfindet.
Stoney aktiviert die Bücher indem sie diese in Bezug zueinander und zu sich selbst platziert. Sie unternimmt den komplexen Versuch eine vielschichtige Gegenwart zu kreieren, die sich konstant ändert. Die Simultanität von selbstinitiierten Anstrengungen und den damit einhergehenden kulturellen Erwartungen und Verpflichtungen verdichtet sich im Zuckerguss einer mit Fondant überzogenen Geburtstagstorte. Das Logo der Oxford University, das Vereinswappen von Scunthorpe United und das Khanda-Emblem verschmelzen zu einem dynamischen Ringsymbol. „You can’t have your cake and eat it, too” – möchte man die Torte in ihrer unversehrten Idee der sicheren Ganzheit bewahren, oder isst man sie Stück für Stück und öffnet damit unweigerlich den ungewissen Prozess erneuter Vervollständigung? In Analogie zur Kreisform zirkuliert das Ausstellungsnarrativ unnachgiebig in der Suche nach einer relationalen Achse. Hier ist es eine schräg gespannte Wäscheleine, die verflochtene und verwobene Selbstreflexionen zusammenführt.