Driften
CRITIC'S PICKS FOR VIENNA ART WEEK:
Gruppenausstellung Propeller II
Sich treiben lassen oder selbst kurzweilig zu Treibgut werden: Diese Bewegungsform beinhaltet das entdeckende Schweifen durch einen Ausstellungsraum. Mit Bezug zum lateinischen Wort „propellere“ („vorwärtstreiben, antreiben, bewegen“) zeigt die Fotogalerie Wien bereits zum zweiten Mal eine übersichtlich kuratierte Auswahl aktueller künstlerischer Arbeiten von Student:innen österreichischer Kunstuniversitäten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Positionen aus den Bereichen Neue Medien und Fotografie. So verwundert es nicht, dass sich jedes der gezeigten Werke im weitesten Sinne in diesen Sparten verankert.
Ein 16mm-Projektor surrt und nimmt den Raum akustisch ein. Auf zwei Pfeilern flirren unscharfe, analoge Bewegtbilder des Monds aus der Installation „12/13, 26.08.2018, 22:11 Uhr“ des Duos diallostruempf. Die Mechanik dieser Apparate dominiert den Raum. Die Tonspur zu Evi Jägles „Multimedia-Installation“ zieht hier den Kürzeren, sodass diese vor allem visuell-immersiv in Erscheinung tritt: drei Screens umlagert von transparenten Kitteln mit prall gefüllten Taschen. In den Videos verdichtet Jägle Popkultur mit Fabelwesen, 3-D-Objekten und Comicfiguren zu kryptischen massigen Gebilden. Sie fühlen sich nicht fremd an, aber überwältigend. Daneben hängen in geordneter Formation neun Pin-Hole-Aufnahmen („PLUS/MINUS“) der in Den Haag, Wien und Salzburg verorteten Konstellation Vincent Forstenlechner und Ira Grünberger. In einer Form von Eigenarchäologie dokumentieren die beiden mit einer selbstgebauten Lochkamera deren Entstehungsort, der eher auf eine Ausgrabungsstätte oder eine Werkstatt als auf die eigenen vier Wände des Duos schließen lässt. Das Bild als Werkzeug, das Werkzeug als Bild und das Werkzeug zum Bild. Dieser Gedankengang entfaltet sich beim Betrachten der Fotografien.
In den seitlich flankierenden Räumen sind Vitória Monteiros Filmarbeit „a história comença a partir de nós“ und Kelly Ann Gardeners Drei-Kanal-Videoinstallation „ariel in counterpoint“ situiert. Sie bilden fokussierte Ruhepole im strudelnden Strom der Ausstellungsbeiträge. Monteiros Film verwebt Erzählungen brasilianischer Frauen über Gewalterfahrungen, Vertreibung und Exiljahre zu einer gemeinsamen Stimme. Flugzeugaufnahmen, Zugfahren und Autoreisen bilden den bildlichen Unterbau auf ständiger Achse; die erzählende Stimme schafft eine bedrückende Enge. Gänzlich anders, tastend und poetisch, führt Gardener in das Saddleworth Moor in der Nähe von Manchester. Für einen Augenblick denkt man an die Bilder der Steinformationen aus Charlotte Prodgers Film „BRIDGIT.“ Doch Gardeners Landschaftsbilder initiieren eine stärkere Abstraktionsebene und erschließen sich sowohl als Mikro- sowie auch als Makroaufnahme. Das auf drei individuelle Tonspuren verteilte Voiceover umspült die großformatigen Projektionen und treibt wie der von Gardener beschriebene Wind die Gedanken. Driftend dreht man sich in dieser Gruppenausstellung einige Male gewollt selbst im Kreis bevor man wieder weiter zieht. Die unaufgeregten Seitenarme zum Hauptraum scheinen zunächst wenig spannend. Verheddert man sich aber in ihnen, bleibt man womöglich länger.