ANYTHING GOES IN THE 80S
Schrill, bunt und alles war möglich: Die 80er-Jahre waren ein wildes Jahrzehnt, geprägt von Ausschweifung, rebellischem Zeitgeist, Konsum- und Unterhaltungsboom. In der Kunst galt „anything goes“ – ein Leitspruch, den der österreichische Philosoph Paul Feyerabend zum Schlagwort der Postmoderne gemacht hat und unter dem aktuell eine großangelegte Schau in der Albertina Modern den 80s Tribut zollt. Als Fortführung der Aufarbeitung der österreichischen Kunstgeschichte, die die Albertina mit der Eröffnungsausstellung The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980 lancierte, geht man nun in die nächste Dekade – allerdings mit dem großen Unterschied, dass The 80s. Die Kunst der 80er Jahre nicht mehr nur nationale, sondern auch internationale Positionen und künstlerische Verschränkungen einer globalisierten Welt zeigt.
Das Zeitalter von MTV, Videorecorder und Synthesizer, überlagert durch politische und gesellschaftliche Umbrüche wie die islamische Revolution im Iran 1979 und den Fall des Eisernen Vorhangs, spiegelte sich in der Kunst in einem beispiellosen Stil- und Ausdruckspluralismus wider. Rückblickend sind bis zu den 80er-Jahren starke Tendenzen und Strömungen in der Kunst auszumachen. Nun wurden Paradigmen gebrochen und Regeln aufgelöst: „Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen oder, wie Jürgen Habermas es nannte, die Neue Unübersichtlichkeit, ist ganz typisch für die Kunst der 80er-Jahre“, erklärt Kuratorin Angela Stief. „Die Kunst hatte nun endgültig die Religion abgelöst und diente auch nicht mehr als Surrogat für moralische Anliegen. Authentizitätsansprüche hatten abgedankt und ausgedient, Vokabeln wie Simulation und Künstlichkeit beherrschten den philosophischen Diskurs.“
Die 80er-Jahre werden gerne als Beginn einer neuen Ära, als Aufbruch ins 21. Jahrhundert bezeichnet. Was war an dieser Dekade wegweisend für die Künstler*innen unserer heutigen Zeit? „Das aus-sich-selbst-Herausschöpfen der Künstler*innen wurde in den 80ern ganz stark abgelöst vom etwas Hineinnehmen. Es wurden Bezüge zum Alltag, zur Welt der Waren aufgebaut. Es gab eine große Tendenz zu Vernetzung und Relationalitäten wurden hergestellt, ebenso zwischen den Künstler*innen. Das ist auch ein Charakteristikum der Kunst von heute“, so Stief. In diesem Zusammenhang sind die Pictures Generation und die Appropriation Art als radikalste Ausformungen zu sehen. Künstler*innen beziehen sich auf Filme oder massenmediale Bilder, derer sie sich annehmen und die sie in ihrer Kunst verarbeiten. Neben großen Namen, die in diese Kategorie fallen, wie Sherrie Levine, Robert Longo, Mike Bidlo, Barbara Kruger, Richard Prince, Cindy Sherman oder Ross Bleckner zeigt die Ausstellung auch Arbeiten von Positionen wie Isolde Maria Joham und Jack Goldstein, denen die gebührende Aufmerksamkeit bislang verwehrt blieb. Joham, die fotorealistisch und großformatig malt, ist für Stief „eine absolute Entdeckung, ihr Werk Electric Rider zum Beispiel, das als fotografische Vorlage ein Filmstill von The Electric Horseman mit Robert Redford und Jane Fonda heranzieht, ist Appropriation in Reinkultur.“ Aber auch Goldstein, der wie viele andere seiner Generation das renommierte California Institute of Arts besuchte, und Gemälde von spektakulär inszenierten Naturphänomenen schuf, geriet, wie Stief findet, völlig zu Unrecht in Vergessenheit.
Die zweite dominante Bewegung in den 80er-Jahren, der New Expressionism, zeichnet sich durch expressive Gesten als maximale Befreiung des Individuums aus. Ein als Gegenbewegung zu den minimalistischen und konzeptuellen Kunstströmungen der 1960er- und 1970er-Jahre schier unstillbarer Hunger nach Bildern manifestierte sich in einer neuen Sinnlichkeit und visuellen Überschwänglichkeit, die begeisterte und zu einem Boom des Kunstmarktes führten: „Die Bilder hatten auf dem Kunstmarkt schnell Erfolg, sie waren leichter verständlich, emotionaler, visuell ansprechend, erreichten eine breite Menge und nicht nur ein intellektuelles Kunstklientel“, so Angela Stief. Beispiele dafür finden sich in der Kunst der italienischen Transavanguardia bei Vertretern wie Francesco Clemente, Mimmo Paladino, Enzo Cucchi oder Nicola De Maria, den neoexpressiven Arbeiten der Neuen Wilden in Österreich und Deutschland (Herbert Brandl, Gunter Damisch, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Hubert Scheibl u.a.) sowie bei französischen Künstlern der Figuration libre, wie etwa Hervé Di Rosa. „Uns war wichtig, dass wir natürlich das Jahrzehnt abbilden und diese wichtige Phase zeigen, aber nicht nur“, so Stief. „Es gab in der zweiten Hälfte der 80er auch auf diesen neuen Expressionismus wiederum eine Gegenbewegung: die neue Geometrie oder Neo-Geo genannt. Künstler*innen wie Brigitte Kowanz, Heimo Zobernig, Gerwald Rockenschaub, Peter Kogler und Eva Schlegel sind da bedeutend.“ Kritik an der Konsumkultur der opulenten 80er-Jahre und feministische Kritik an männlich determinierter Macht in der Kunst kam zudem von Barbara Kruger oder Jenny Holzer, die in einer Gesellschaft der permanenten Reizüberflutung mit ihren Text-Bild-Arbeiten Aufmerksamkeit zu erzeugen versuchte.
Die damals aufkommenden Bewegungen Street Art und Grafitti sind mit Werken von Keith Haring, Jean-Michel Basquiat, Lady Pink und Jenny Holzer ebenfalls in der Ausstellung The 80s vertreten. Künstlergruppen entstanden, es kam zu Kollaborationen auch über die eigene Generation hinaus: Jean-Michel Basquiat arbeitete mit Francesco Clemente und Andy Warhol, Albert Oehlen mit Martin Kippenberger, Franz West mit Herbert Brandl. Es gibt nicht mehr die Vergangenheit und die Zukunft, alles wird in der Gegenwart nebeneinander aufgelöst. Dieses totale Auseinanderfallen nicht nur der Kunstgeschichte, Losing Control (übrigens auch das Thema der heurigen Vienna Art Week), die ungewisse Zukunft, ist etwas, das die Zeit der 80er charakterisiert, gleichzeitig aber erstaunlich aktuell anmutet. Damals reagierten Kunstschaffende mit der bewussten Kontrollaufgabe, mit expressiven Befreiungsgesten, die auf die Erneuerung erstarrter Strukturen abzielten. Aus deren Kraft schöpft die zeitgenössische Kunst bis heute ihre Energie und Diversität.
(Angelika Seebacher)