Anselm Kiefers Inferno im Palazzo Ducale
Beyond Vienna - ein Einblick in die Ausstellung Anselm Kiefers während der 59. Biennale in Venedig.
Ein Text von Sabine B. Vogel
Die 59. Biennale Venedig ist geprägt von weiblichen, schwarzen und indigenen Künstler:innen. Beim Gang durch die Ausstellungen im Stadtraum allerdings dominieren männliche Blue-Chip-Künstler: Georg Baselitz (Palazzo Grimani), Anish Kapoor (Gallerie dell´Accademia und Palazzo Manfrin), Sterling Ruby (Lalazzo Diedo), Raqib Shaw (Palazzo della Memoria). Der Höhepunkt hier ist Anselm Kiefer im Palazzo Ducale – genauso gewaltig wie umstritten ob des monumentalen Anspruchs. Denn Kiefer hat im berühmten Sala dello Scrutinio, wo einst der Doge gewählt wurde, ein Welttheater inszeniert. Dafür ließ er die Meisterwerke von Jacopo Tintoretto und Andrea Vicentino mit einem Gerüst verdecken, das vom Boden bis zur Decke reicht.
Auf 800 Quadratmetern dominieren jetzt seine düsteren Bilder den Saal. Sein Titel „Questi scritti, quando veranno bruciati, daranno finalmente un po´di luce“ (Die Schriften werden, wenn sie verbrannt werden, endlich etwas Licht werfen) ist ein Zitat des italienischen Philosophen Andrea Emo (1901-1983), dessen nihilistisches Denken Kiefer schon vor Jahren inspirierte. Kiefer: „Es bedeutet, dass es nichts Ewiges unter der Sonne gibt. Das einzig Ewige ist das Streben.“
Feiert Tintoretto in seinen Gemälden den Sieg der Venezianer gegen die Ungarn, so zeigt Kiefer die apokalyptische Seite der Macht. Die U-Boote erinnern an die Macht Venedigs auf den Meeren. Aus einem Bild ragt ein Metallsarg – ein Bild für Tod, aber auch eine Anspielung auf den Heiligen Markus, Stadtpatron von Venedig, was sich laut Kiefer auf „die menschliche Zeit“ bezieht. Eine Bleizunge repräsentiere „die Ausgießung der göttlichen Gnade auf die Welt“.
So deutlich die direkten Anspielungen auf Venedig sind, so offen hält Kiefer doch sein Inferno, das von Feuer, Flucht und Tod erzählt – es ist ein freies Spiel mit Fragmenten der Geschichte, die Kiefer mit Andrea Emo „als Kette unlogischer, ahistorischer Handlungen, Vorfälle“ sieht. Kiefer: „Der neue Raum, den ich geschaffen habe, ist eine Überlagerung von allen möglichen Ideen, Philosophien aus dem Norden, aus dem Süden, aus dem Orient und dem Okzident“, und: „Was da ist, ist nur die vollständige, reale Präsenz des Nichts“ – allerdings ein materialgewaltiges, auf Überwältigung angelegtes „Nichts“!
(Ausstellung geöffnet bis 29.10.2022)
Text: Sabine B. Vogel